Ms. Gouldy & die Medientheorie
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Fernsehserienjunkies – wie wir – mussten sich lange Zeit für ihre liebste Freizeitbeschäftigung rechtfertigen, gerade wenn es sich um US-amerikanische Produktionen handelte. Fernsehserien wären total banal, total trivial, bedienen den Massengeschmack, der natürlich nur verblödet und kein eigener feiner im Sinne eines autonom gewählten und ausgebildeten sein konnte, Fernsehserien formen und bedienen den sogenannten Couchpotato – das Sinnbild des passiven und eskapistischen Zuschauers, der sich wenigstens für eine Stunde am Tag per Knopfdruck in die heile Welt, in das vorgegaukelte richtige Leben im Falschen, flüchtet. So ungefähr lautete das Urteil des traditionellen Bildungsbürgers, der statt dessen – natürlich – lieber ein gutes Buch las.
Diese elendige Unterscheidung von Hoch- und Massenkultur, oder auch U und E ist eine typisch deutsche und schon von daher abzulehnen, aber wir wollen nicht abschweifen. Nur soviel: Hände weg von DEUTSCHEN Fernsehserien, denn die Aussage von Jens Friebe zum deutschen Kino kann getrost auf das deutsche Fernsehen übertragen werden.
Doch zurück zum Thema: der schlechte Ruf von Fernsehen im Allgemeinen und Fernsehserien im Besonderen. Dieses Urteil fand sich interessanterweise lange Zeit nicht nur auf medientheoretischer Seite, sondern – und jetzt wird’s absurd – war ein derartiger Gemeinplatz, dass es schon als Massenurteil bezeichnet werden kann. Schon komisch, die Masse urteilte elitär über die Masse. Die Masse, das sind halt eben immer die Anderen.
Aber – wir erwähnten es schon – diese Zeiten sind zum Glück endlich vorbei. Einerseits änderte sich was innerhalb der Medientheorie, was inzwischen sogar schon das deutsche Feuilleton mitbekommen hat, andererseits änderte sich aber auch gründlich etwas an deren Untersuchungsgegenstand, also den Serien selbst. Was zuerst kam – einsichtige Medientheorie oder Qualitätsserie, die Henne oder das Ei – wir möchten darüber nicht spekulieren.
Zunächst kurz zur Medientheorie: In früheren Auslegungen, die gemeinhin dem Lager der Kulturindustrie zugeordnet werden, wurde der Unterhaltungscharakter massenmedialer Produkte als Herrschaftsinstrument zur Manipulation der Massen interpretiert. Unterhaltung wurde dabei immer auf das Moment des Trivialen, der Aufmerksamkeitszerstreuung und der Ablenkung zurückgeführt, damit zusammenhängend transportierten die Medienprodukte eineindeutige, so und genau so und nicht anders von ihren Produzenten intendierte Botschaften – anders ließe sich ja auch eine etwaige Manipulationsabsicht nicht denken. Das ganze Konstrukt funktionierte allerdings auch nur, wenn man sich den Zuschauer als rein passives Zurichtungsobjekt vorstellte. Dem lässt sich ein Begriff von Unterhaltung entgegenhalten, der der Aktivierung von selbst Erlebtem, Erhofftem, Befürchtetem und Vergessenem dient. Unterhaltungsangebote rechnen demzufolge mit Individuen, die sich ihre Identität aktiv selbst gestalten. Das Schauen von Fernsehserien wird somit als ein Vorgang betrachtet, bei dem das medial Dargebotene von Seiten des Zuschauers auf ganz verschiedene Weise aufgefasst und mit Bedeutung versehen werden kann. Hinsichtlich der Bedeutungsproduktion des jeweiligen Textes werden also den Aneignungsleistungen des Konsumenten ebenso viel Wichtigkeit beigemessen wie den Aussageabsichten des Produzenten. Damit erledigt sich auch der Manipulationsvorwurf. Für eine Aufwertung der Unterhaltungsfunktion von Fernsehen und Fernsehserien plädierten zuerst vor allem die britischen Cultural Studies, genauso wie sie die normative Unterscheidung zwischen Hoch- und Massenkultur mit der Aufdeckung des dem innewohnenden Distinktionscharakters – also ich schlau, weil lese, du dumm, weil kuckst blöd – in Frage stellten und schließlich zurückgewiesen. Fazit aus der kurzen und natürlich auch verkürzten Geschichte der Medientheorie: Unterhaltung muss nicht schlecht sein.
Neben dieser Änderung in der Bewertung von Fernsehserien – also eher auf der theoretisch-analytischen Ebene – tat sich auch was auf der praktischen, gewissermaßen auf der Produktionsebene: Seit ca. zehn Jahren – frühere Ausnahmen natürlich eingeschlossen – nehmen innerhalb der Serienlandschaft Produktionen zu, die sich inhaltlich und formal von den meisten vorhergehenden Produkten deutlich unterscheiden:
Die erzählten Geschichten sind vertrackter geworden, die Figuren werden als komplexe wie ambivalente und widersprüchliche Charaktere gezeichnet, die sich längst dem einfachen Gut-Böse-Schema entzogen haben und sich nicht mehr zu einfachen Identifikation eignen; die Handlungseinheiten werden einerseits ausgedehnt und sprengen das althergebrachte Schema der abgeschlossenen Einzelfolge nach dem Motto: Harmonie am Anfang einer Folge, dann Störung dieser Harmonie, der Rest der Folge wird darauf verwendet, die verlorene Harmonie wiederherzustellen, und in der nächsten Folge beginnt das Spiel von vorn… andererseits sind einzelne Handlungsstränge zum Teil auch eher fragmentarisch, wie eher zufällig, miteinander verbunden, wobei sich der Gesamtzusammenhang erst mit der Zeit, und dann auch nicht mit Sicherheit hundertprozentig, erschließt – womit wir u.a. wieder bei der Deutungsoffenheit wären.
Diese neuen Serien sind also auch formal neu justiert worden – man hat die Chance begriffen, die dem spezifisch Seriellen der Serie zugrunde liegt, also eben dass sich Zeit gelassen werden kann in der Entwicklung der Figuren wie der Erzählung, und beides darum nur an Facettenreichtum, an überraschenden Drehungen und Wendungen gewinnen kann. Einziger Nachteil – der erhöhte Suchtfaktor, das möchten wir hier betonen, wird hier nicht als ein solcher gewertet – also der einzige wirkliche Nachteil besteht darin, dass es durch diese neu gewonnene Komplexität schwer bis nahezu unmöglich ist, mittendrin einzusteigen. Es empfiehlt sich tatsächlich mehr denn je, bei Staffel Eins Folge Eins zu beginnen.
Diese neuen Serienformate nun als ,postmodern‛ zu bezeichnen – und spätestens jetzt bewegen wir uns schon wieder – ups – innerhalb der Medientheorie – also, diese als postmodern zu bezeichnen, folgt dabei nicht nur einer feuilletonistischen Mode, die dieses Wort mehr als beliebiges Label denn als qualifizierendes Merkmal benutzt, sondern ist insofern berechtigt, als dass das Deutungsangebot dieser Serien längst nicht mehr von einer etwaigen Sehnsucht nach Einheit, Eindeutigkeit und Transparenz zeugt. Postmoderne Fernsehserien bieten durchaus weiterhin Orientierung an, jedoch auf eine modifizierte Art und Weise: Sie dienen nicht mehr der Selbstversicherung des modernen Subjekts, sondern bestätigen und reflektieren gewissermaßen die gründliche Verunsicherung dieses Subjektstatus. Versichert wird sich damit gleichsam nur noch des Unsicheren, Unbeständigen, Fragmentarischen, eben Ambivalenten der Gegenwart.
Unser Fazit: Lass Dich verunsichern, und schau mal wieder eine Serie!“