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Being Erica – Vom Versuch ein besseres Leben zu führen

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Erica Strange ist eine Frau Anfang 30 in Toronto, die zwei Masterabschlüsse in englischer Literatur hat und trotzdem ihren CallCenter Job bei einer Versicherung verliert, overeducated, underemployed also. Ihr Date, ein Zahnarzt, den sie übers Internet kennengelernt hat, lässt sie buchstäblich im Regen stehen, der Latte, der ihr im nächsten Café angeboten wird, enthält leider Nüsse, auf die sie allergisch reagiert. Erica landet im Krankenhaus. Als sie erwacht, sieht sie einen Mann in ihrem Zimmer, den sie für einen Arzt hält, und der sich als Dr. Tom vorstellt. Auf ihre Aussage “Es war einfach ein schlechter Tag.”, antwortet er: “Es war nicht nur ein schlechter Tag. Es läuft immer so. Nicht passiert so, wie es soll. Alle diese einsamen Nächte. Alle deine erfolgreichen Freunde haben nur Mitleid. Habe ich Recht?”, sagt er.

Erica hat keine Ahnung, warum dies so ist. Ihr Leben, für das sie einigermaßen moderate Träume hatte – Karriere, Liebe, gute Erfahrungen – ist ganz anders geworden als vorgestellt. Zitat: “Die meisten Leute bereuen etwas. Ich bereue Millionen Dinge.” Dr. Tom empfiehlt sich mit seiner Visitenkarte, Erica besucht ihre Mutter. Diese hat ihre Schwester Sam nebst unsymphatischen Gatten sowie ihre beste und natürlich erfolgreiche Freundin eingeladen. Erica fühlt sich als schwarzes Schaf und Enttäuschung ihrer Familie und läuft, noch im Schlafanzug, zu Dr. Toms Praxis, die an ein altes Bibliothekszimmer erinnert. Die Szene, in der sie von ihm aufgefordert wird, ihre Enttäuschungen, schlechten Wahlen und Bedauerungen stichwortartig aufzuschreiben, dauert ewig.

Klar, Dr. Tom ist natürlich ein Therapeut. Warum eine junge Frau zu einem männlichen Therapeuten geht, nachdem die Geschichte der Psychotherapie zumindest in ihren Anfangszeiten eine der Subjektivierung von Frauen war, die von Männern hörten, was sie fühlen sollten oder auch nicht – erinnert sei hier an Mad Men’s Betty Draper und ihr Verhältnis zu ihrem Arzt, der über sie mit ihrem Ehemann am Telefon spricht – lässt uns zumindest misstrauisch werden.
Dr. Tom wählt einen der Punkte auf der Liste aus, und “Die Vergangenheit ist die Vergangenheit” gilt fortan nicht mehr: Erica sieht sich unverhofft nach einer rasanten Zeitreise an den Tag ihres großen Abschlußballs vor 15 Jahren versetzt um ihre damals begangenen Fehler zu korrigieren, als sie auf die Tanzfläche kotzte, ihre große Liebe sie im Anschluß verließ und sie zum Gespött der Schule wurde. Der neue Ausgang des Abends? Statt selbst betrunken zu werden, trinkt ihre Freundin zu viel und kotzt auf ihr Kleid. Während die Dritte im Bunde Ericas dreckiges Kleid wegschafft und im Spind Ersatzklamotten holen will, wird ihre Freundin bewußtlos. Erica wird also doch noch zum Gespött der Schule, als sie halbnackt Hilfe holt. Ihr Freund, dem sie als 32jährige im Körper der 18jährigen begegnet, kommt mit ihren Wünschen nach Sex – “Man weiß ja nie, ob man jemals wieder die Gelegenheit dazu bekommt” – ist ihre Begründung, überhaupt nicht klar. Unterstützt wird sie bei ihren Reisen von Dr. Tom, der in absurden Verkleidungen und auch schon mal nackt Hinweise gibt und stets ein passendes Zitat aus der Welt der Philosophie, Literatur oder auch mal Popmusik beisteuert. Er wird zunehmend symphatischer, wenn Teile seiner Biographie enthüllt werden, auch wenn die Fragen Ericas, wie diese Zeitreisen geschehen, und woher diese Möglichkeiten kommen, ein Mysterium sind, dessen endgültige Lösung noch aussteht.

Erica kann also ihre Handlungen mit dem Bewußtsein und Wissen der Jetzt-Zeit in der Vergangenheit ändern und justiert damit auch ihre Gegenwart, aber längst nicht in dem Maße, dass es den deutschen Titel der Serie, die seit dem 6. Januar auf ZDFneo ausgestrahlt wird: “Alles auf Anfang” rechtfertigen würde. Ihr Einfluß ist auf ihr eigenes Handeln begrenzt. Sie kann weder die Probleme anderer lösen oder Menschen in ihrem Umfeld warnen.

Eindeutige Minuspunkte neben dem paternalistischen Therapeuten Dr. Tom, die das Vergnügen des Seriengenusses schmälern, sind die starken heteronormativen Vorgaben, die die Serie am Anfang setzt: nicht nur Ericas stockende Karriere ist ein Problem, sondern vor allem ihr Single-Dasein, das als Nichtachievement dargestellt wird. Die in der Serie als “erfolgreich” dargestellten Frauen sind samt und sonders mit Männern verbunden und meist verheiratet, ihre beste Freundin darüberhinaus schwanger. Diese heteronormativen Vorgaben werden zwar zunehmend gebrochen, wenn Erica z.B. in einer Folge in ihre Vergangenheit reist, um mit ihrer einst besten Freundin Cassidy zu sprechen, die offen lesbisch ist und mit der sie abrupt brach, weil sie die zunehmenden Flirts mit ihrem heterosexuellen Selbstverständnis nicht in Einklang bringen konnte. Aber auch wenn sie in der neuen Vergangenheit Cassidy küsst und anschließend mit ihr darüber spricht, wird Bisexualität überhaupt nicht erwähnt und straight oder lesbisch bleiben die einzigen möglichen Kategorien. In einer anderen Folge geht es um einen Streit mit einem jungen Mann. Einst in einem Ferienlager ihr bester Freund, begannen die beiden eine Affäre, er ließ sie sitzen und der anschließend ausgetragene Kleinkrieg endete tragisch. Als Erica zurückreist, um den Streit nicht eskalieren zu lassen, finden sich beide allein auf einer Insel, und er hat Erica gegenüber sein Coming out. Als die beiden von den anderen gefunden werden, hält Erica nicht etwa einfach ihren Mund, sondern gibt vor, dass die beiden wieder zusammen sind. Bitte? Es dauert auch bis zum Serienfinale der 2. Staffel, bis Erica Hosen trägt. Nichts gegen schöne Kleider, aber wenn Hosentragen noch mit Ermächtigung und selbstständigen Entscheidungen gleichgesetzt wird, stößt dies bitter auf.

Demgegenüber gibt es jedoch eine ganze Menge Punkte, die uns bei der Stange halten: Da wäre zum einen Erica: sie sieht aus wie Anfang 30, sie ist nicht verhungert oder hysterisch, und sie spielt großartig. Dabei ist sie selbstbewußt und wird sehr differenziert auch innerhalb ihrer jüdischen Familie gezeigt, die untereinander komplexe Beziehungen haben, die sich nicht zuletzt durch Ericas Veränderungen durch ihre Therapie verbessern. Schauspielerin Erin Karpluk, die unter anderem in einigen Episoden von Battlestar Galactica und The L-Word auftauchte, erhielt zu Recht einige Preise für ihre Darstellung der Erica Strange. Gleichzeitig hat sie viele Freundinnen, ihre Vorstellungen für ihre Karriere spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Am Ende der 1. Staffel zerbricht die Beziehung zu Dr. Tom, als sie versucht, ihren Bruder zu retten, der bei einem Brand starb. An diesem Punkt tritt Dr. Naadiah auf, die wir in einer Szene in der Vergangenheit als Butch mit ihrer Frauenclique beim Billard sehen.

Zielpublikum der Serie dürften alle sein, die wie Erica Anfang/Mitte 30 sind: Die Szenen aus den 90er und 2000er Jahren wirken super authentisch: Haare, Mode, Gesten versetzen einen unmittelbar mit Erica Strange in die eigene Vergangenheit.Idee und Drehbuch stammen von Jana Sinyor, Regisseurin ist Holly Dale, die auch für Heroes und Terminator: The Sarah Connor Chronicels arbeitete.Zu Beginn der 3. Staffel beginnt eine neue Phase in Ericas Therapie: In einer Gruppe wird sie gemeinsam mit 4 anderen – 2 Frauen und 2 Männern auch anderen helfen und von diesen unterstützt.Die 3. Staffel ist in Kanada bereits gelaufen und wird zur Zeit in den USA ausgestrahlt. Die Entscheidung, ob es eine 4. Staffel geben wird, steht noch aus.