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Das generische Femininum in TV-Sprache: Scott & Bailey

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Immer noch werden wir viel zu oft mit Serien konfrontiert, in denen Frauen die Rolle der “Ehefrau, Partnerin, Mutter oder Geliebten” spielen, nicht aber einfach eine Frau, die ein eigenständiges Leben hat, indem sie zwar auch einige der vorher genannten Rollen innehaben mag, aber eben tatsächlich DIE Hauptrolle spielt.

Aber, Hand aufs Herz: wie spannend könnte das sein, gerade wenn Science Fiction und Mysterie fehlen?

Scott & Bailey, ein in Manchester spielendes Kriminaldrama, ist da eine Offenbarung: drei weibliche Hauptrollen, eine Regiseurin und zwei Produzentinnen setzen die Idee von zwei Entwicklerinnen um. Das damit die Frage nach dem Bechdel-Test hinreichend beantwortet ist, sollte schon fast klar sein. Überraschend ist die Serie trotzdem: wir sehen berufstätige Frauen unterschiedlichen Alters, die zwar auch über ihre persönlichen Beziehungen zu Männern sprechen, aber nur, weil diese neben ihren Freundschaften, ihrer Arbeit und ihren Familien auch eine Rolle in ihrem Leben spielen, und nicht deren Lebensinhalt darstellen, über den sich alles andere anpassen muss.

Es wird nicht ganz einfach, “Scott & Bailey” angemessen vorzustellen, ohne die Spannung aufzulösen, von der sie lebt, indem zuviel von der Handlung verraten würde.

Rachel Bailey und Janet Scott sind Kolleginnen und Freundinnen. Sie arbeiten als Kriminalistinnen bei der fiktiven MIT Einheit der Manchester Metropolitan Police und versuchen vor allem Mordfälle zu klären.
Während Janet in einer eher schalen Ehe mit zwei Töchtern im Teenageralter lebt, ist Rachel in wechselnden Beziehungen und wohnt allein. Sie kommt aus einer kaputten Familie, ihre große Schwester übernahm die Sorge für sie und ihren jüngeren Bruder, als ihre Mutter die Kinder verließ.

Sally Lindsay hatte die Idee zur Serie gemeinsam mit Suranne Jones, die selbst Rachel Bailey darstellt. Wie viele der anderen Darsteller_innen kennen sich beide von ihrer Arbeit an der seit 1960 in Großbritannien ausgestrahlten Seifenoper “Coronation Street“, einer Mischung aus “Lindenstraße” und “Gute Zeiten, schlechte Zeiten”. Bei einer Flasche Wein im Pub beklagten sie den Mangel an Frauenrollen, die – wie eingangs erwähnt – eben nicht zuerst “Ehefrau, Partnerin, Mutter oder Geliebte” sind. Da Sally Lindsay zu Beginn der Dreharbeiten schwanger wurde, übernahm sie nicht wie geplant die Rolle von Janet Scott, sondern die Nebenrolle als Rachel Baileys große Schwester. Janet Scott wird von der vielfach für ihre Arbeit ausgezeichneten Lesley Sharp gespielt.

Dabei sind beide äußerst glaubwürdig. Sie sind – schon dies zeichnet “Scott & Bailey” vor anderen Serien aus dem Detektiv-Polizei-Milieu aus – alt genug – und zeigen in ihrem Beruf Professionalität und Abgeklärtheit. Dies ist vor allem der Arbeit von Diane Taylor für “Scott & Bailey” zu verdanken, die früher selbst als Detective Inspector – dies ist auch der Rang der Protagonistinnen, arbeitete. So war es ihr nicht nur wichtig, dass Details der Ermittlungsarbeiten richtig dargestellt werden, sondern auch ein in ihren Augen oft falsch vermitteltes Bild von Kriminalist_innen. Zitat: “Was mich wirklich bei anderen Dramen irritiert, sind über toten Körpern weinende Ermittler, die sich andauernd sinnlos betrinken. Mit diesem Verhalten würdest du 2 Wochen in diesem Beruf bestehen. … Die Realität ist so viel interessanter. Ich könnte 1000 Fälle aufzählen,die Leute nie glauben würden. Die Leute wollen Drama, weil sie nicht der Realität glauben.” Allerdings wird gerade Alkoholmissbrauch wiederkehrend thematisiert.

Wie in Qualitäts-TV-Serien üblich, spannt sich ein Erzählfaden über die gesamte Staffel: Die Ermittlungen zu einem alten Fall werden wieder aufgenommen. Damals verschwand eine Freundin von Janet Scott, die nie gefunden wurde, und wir lernen, dass diese Erfahrung Janets Berufswahl entscheiden beeinflusste. Parallel dazu werden in einzelnen Folgen auch andere Verbrechen aufgeklärt. Oft geht es um Missbrauch und Gewalt in Familien. Gleichzeitig werden die Entwicklungen der persönlichen Beziehungen und Verhältnisse zwischen Rachel, Janet, ihren Kolleg_innen und Familien gezeigt. Die Freundschaft zwischen Janet und Rachel ist eine turbulente. Janet zeigt für Rachel einen Beschützerinstinkt, beide sind jedoch sehr offen in ihren teilweise sehr differenten Auffassungen, und ihre gegenseitige Beeinflussung treibt die Entwicklung dieser Charaktere voran.

Besonders erwähnenswert ist Scotts und Baileys Chefin Gill Murray, die sich im Laufe der ersten beiden Staffeln zur 3. Hauptfigur entwickelt. Exzellent dargestellt von Amelia Bullmore, ist Gill Murray eine alleinerziehende Mutter, deren Stil am ehesten mit fordernd beschrieben werden kann. Sie hat hohe Erwartungen an die von ihr geleitete Gruppe und überhaupt kein Problem, sich dabei unbeliebt zu machen. Während sie eine jahrzehntelange Freundschaft mit Janet Scott verbindet, wird sie von Rachel Bailey insgeheim “Godzilla” genannt wird. Gill Murray erwartet Professionalität, auch wenn ihr bewusst ist, wie Schwierigkeiten aus dem Leben außerhalb der Lohnarbeit auf diese zurückwirken. Dabei scheut sie nicht davor zurück, provozierende Ehrlichkeit und damit Konflikte nicht zu vermeiden, wenn sie glaubt, damit ihrem Gegenüber zu helfen.

Scott & Bailey ist fesselnde Unterhaltung, eine Wohlfühlserie ist es nicht. Hier siegt nicht das Gute über das Böse. Neben den Verbrechen, die tiefe Abgründe offenbaren, werden gesellschaftliche Missverhältnisse gezeigt. Dabei ist bemerkenswert, wie weit persönliche Motivationen die Protagonistinnen und Handelnden antreiben, welche Grenzen ihnen jedoch aufgrund ihrer sozialen Herkunft und ihrer wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gesetzt sind, innerhalb derer sie überhaupt agieren können.

Die Kritik reagierte nicht einhellig auf Scott & Bailey. Während teilweise das Potential nicht erkannt wurde und die Serie als – wenn auch sehr gut gemachte – übliche Sonntagabend-Krimiserie eingeordnet, aber auch als “Lewis mit Frauen” diffamiert wurde, gab es einen wesentlichen Kritikpunkt: Es wurde moniert, dass die Männer in Scott & Bailey überwiegend als schlecht charakterisiert würden.
Fuck off! Es ist wahr: ein Großteil der männlichen Charaktere ist problematisch. Janets Ehemann unterstützt sie kaum, bevor er nach mehreren Streits mit Janets Mutter, die krankheitsbedingt einziehen musste, die Familie verlässt. Ihr Kollege Andy Roper will lange Zeit nicht begreifen, dass sie ihr Verhältnis nicht fortführen möchte. Janets Freund entpuppt sich als richtiger Arsch und ihr krimineller Bruder ist nicht in der Lage Plinsen zu backen, ohne die Küche anzubrennen.
Dies zeigt aber lediglich, dass hier die eingeübte Heroisierung männlicher Protagonisten nicht fortgeführt wird, während die Fehler weiblicher Darstellerinnen als “normal” angesehen werden.

In der 3. Staffel zeigt Scott & Bailey eine interessante Antwort auf den Vorwurf des “Sexismus unter umgekehrten Vorzeichen”, Sexismus von Frauen gegen Männer also, der immer dann reflexartig als Abwehrhaltung eingesetzt wird, wenn der alltägliche Sexismus kritisiert wird. Zuletzt sahen wir dies hierzulande bei der aufschrei-Debatte. In der 6. Folge der 3. Season wird Gill von einem neuen, noch recht jungen Kollegen, Rod Waddington, vertreten. Während Gill in diesen Sitzungen stets größte Autorität besitzt, frotzeln jetzt alle und unterbrechen ihn. Am Ende des Treffens fasst Janet, die ungefähr 20 Jahre älter ist als er, ihm vor allen an den Arsch und vergleicht diesen mit einem Pfirsich, alle lachen. Später wird von Janets E-Mail Account eine Mail an alle geschickt, die sexuelles Interesse an Waddington suggeriert. Während Janet Scott schnell erkannt hat, dass ihr Verhalten mehr als unter aller Sau war und eben nicht in einer Abwehrhaltung verharrt, entschuldigt sich bei Rod Waddington. Später kommt heraus, dass Rachel Bailey die E-Mail geschickt hatte und diese besteht darauf, dass diese lustig sei. Gill Murrays Antwort? Sie schickt Rachel Bailey zu einem Diversity Kurs.
Auch im Rahmen der Aufschrei-Debatte wurde immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig Aufklärung ist. Wenn Missstände nicht öffentlich gemacht werden, wird eine Änderung der Verhältnisse schwierig.

Im zunehmenden Verlauf der Serie tauchen immer weitere Frauen auf, und zwar auch in den höchsten Hierarchiestufen. Scott & Bailey scheint hier das generische Femininum in TV-Seriensprache zu übersetzen. Indem häufig nur Frauen in ursprünglich durch Männer gehaltene Positionen gezeigt werden wird deutlich, wie sehr wir immer noch an die Darstellung von rein männlichen Gruppen, gerade im Umfeld der Lohnarbeit, gewöhnt waren.

Scott & Bailey lebt von den brüchigen und komplexen Charakteren. Janet betrügt ihren Ehemann und hat einen großen Anteil am Scheitern ihrer Ehe. Rachel erpresst ihren ehemaligen Freund und nutzt ihre Ermittlungsmöglichkeiten für ihren privaten Rachefeldzug. Eine Mutter hat den Schutz ihres Sohnes als oberste Prämisse gestellt und damit ein grausiges Verbrechen ermöglicht. Die Verantwortung für die meiste Gewalt wird in Familiensettings gezeigt, die eben nicht nur männlich sind. Die größten persönlichen Probleme hat jedoch Janet, die durch schwierige Ereignisse – ihre alkoholabhängige Mutter taucht wieder auf, ihr Bruder landet wieder im Gefängnis – eine Ehe eingegangen ist, ohne dies eigentlich wirklich zu wollen.
Immerhin findet sie die Kraft, um ihr Alleinsein zu kämpfen.

Scott & Bailey zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Bild des kontemporären Großbritannien. Während ein Großteil der Aussenaufnahmen dem Manchester Tourismusbüro zugute kommen dürfte, wird eine zunehmend verrohende Gesellschaft gezeigt, aber nicht vorgeführt, da das Major Incident Team ein Teil ebendieser ist. Die Gut-Böse-Dualität zwischen zu kontrollierender Bevölkerung und guter Justiz existiert nicht mehr, auch wenn insbesondere Janet Scott und Gill Murray dies zu erreichen versuchen. Kritisch zu erwähnen ist, dass ein Großteil der Verbrechen mit der Hilfe von Videoaufnahmen aufgeklärt wird.

In Deutschland wurden die ersten beiden Staffeln von Scott & Bailey von ZDF Neo ausgestrahlt, in Großbritannien wurde gerade das Finale der 3. Season gezeigt. Ob es wenigstens im Englischen eine 4. Staffel geben wird, ist noch offen.