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Auf der Couch mit Dr. Jennifer Melfi in “The Sopranos”

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Die Emmyverleihung an Edie Falco für ihre Rolle der Nurse Jackie hat uns neugierig auf ihre Darstellung der Carmela Soprano gemacht, für die sie mehrfache Emmyauszeichnungen erhalten hat. Wir haben uns daher der HBO-Serie “The Sopranos” gewidmet. Die Serie, die das TV-Erzählen neu erfunden, das Qualitätsfernsehen begründet hat und als das bedeutendste TV-Kunstwerk seit “Twin Peaks” bezeichnet wird. Relativ schnell zog allerdings eine andere Frauenfigur in “The Sopranos” unsere Aufmerksamkeit auf sich: Dr. Jennifer Melfi – die Psychiaterin Tony Sopranos.

Der Mafiaboss New Jerseys wird von Panikattacken und Depressionen geplagt. Mord, Verrat, Schmiergeld, Bandenkämpfe, Drogenhandel und Prostitution, eine kriselende Ehe, eine herrschsüchtige und intrigante Mutter sowie zwei heranwachsende Kinder, die seinen Mafiaaktivitäten auf die Spur kommen – Tony Soprano ist gestresst und sucht Hilfe bei Dr. Jennifer Melfi. Sie wird seine intensivste Gesprächspartnerin.

Die Behandlung Tony Sopranos ist für Dr. Jennifer Melfi eine Herausforderung: sie ist mit einem Mann konfrontiert, der in zwei der wichtigsten partiarchalen Rollen – als Mafiaboss und als Familienoberhaupt – in die Krise geraten ist. Die Gefahr physischer Gewalt schwingt von Anfang an unterschwellig mit, dennoch gibt es Verbindungen, die die Beziehung ermöglichen: Tony hat sich gegen einen jüdischen männlichen Psychiater und für Jennifer Melfi entschieden, weil sie wie er einen italienischen Background hat. Sie fühlt sich von dem Mafiaboss angezogen – ohne Zweifel eine rebellische Reaktion auf ihr soziales Milieu, das sich durch Spießigkeit und Selbstgefälligkeit kennzeichnet.

Folgerichtig gerät sie recht schnell in einen Streit mit ihrem Ex-Mann Richard, als sie ihm erzählt, dass sie ein Mafia-Mitglied behandelt.  Richard – ein Aktivist in der italienischen Anti-Diskriminierungspolitik regt sich über die Schande auf, die die Mafia über alle Italiener gebracht hat. Was hat es für einen Sinn, einer solchen Person zu helfen protestiert er wütend und macht Jennifer Melfis Berufsstand dafür verantwortlich, moralischen Relativismus zu befördern.  Tony verliebt sich währenddessen in seine Psychiaterin, macht ihr Geschenke – z.B. lässt er ihren Wagen stehlen und reparieren. Auf diesem Weg will er sich ihrer versichern und seine Wohltätigkeit unter Beweis stellen, aber sie begreift dies verständlicherweise lediglich als Belästigung.

Selbstverständlich verschweigt Tony Soprano seine Therapie gegenüber seiner Mafia-Familie. Zum einen fürchtet er, seine psychischen Probleme könnten als Schwäche interpretiert werden, zum anderen gilt das Schweigegelübde Omertá auch für ihn. Als einzige weiht Tony Soprano seine Ehefrau Carmela ein. Über Tonys Sohn Anthony Junior und Livia Soprano – die Mutter Tonys – gelangt die brisante Information schließlich doch zu Tonys Onkel. Der von ihm beauftragte Mordanschlag an Tony scheitert allerdings. Als die Mutter Tonys plötzlich Symptome von Demenz zeigt, erkennt Jennifer Melfi dies als Täuschung – und konfrontiert Tony Soprano mit ihrer Vermutung, dass seine Mutter unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet und in dem Mordkomplott gegen ihn involviert war. Tony reagiert mit einem hasserfüllten Wutanfall und droht Dr. Melfi mit Gewalt.

Wenig später muss er jedoch erkennen, dass seine Psychiaterin mit ihren Vermutungen richtig lag: auf einem Tonband des FBI ist das Gespräch zwischen Onkel Junior und Tonys Mutter aufgezeichnet. Tony Soprano muss Dr. Melfi bitten, für eine Weile die Stadt zu verlassen. Als seine Therapeutin könnte sie zur Zielscheibe werden. Nach ihrer Rückkehr weigert sich Jennifer Melfi zunächst Tony weiter zu behandeln, wird aber von heftigen Gewissensbissen geplagt. Sie wendet sich schließlich selbst Hilfe suchend an ihren eigenen Therapeuten – Elliot Kupferberg. Gegen dessen Rat nimmt sie Tony Soprano wieder als Patienten auf. Dr. Melfi bleiben dennoch Zweifel, die sie mit heftigem Alkoholkonsum zu bekämpfen sucht. Sie ist moralisch abgestoßen von den Enthüllungen Tonys und empfindet dennoch eine gewisse erotische Anziehung.

Um Melfi unter Druck zu setzen führt Kupferberg eine klinische Studie an, die argumentiert, dass Soziopathen Psychotherapie nutzen, um ihre Fähigkeiten im Lügen und Manipulieren zu verbessern. Auf einer Dinnerparty mit weiteren Therapeut_innen gibt er – unter dem Protest Melfis – die Identität ihres berüchtigten Patienten preis. Infolgedessen halten auch andere Kolleg_innen sie dazu an, die Behandlung abzubrechen. Schließlich selbst davon überzeugt, dass sie Tony nicht hilft, sondern ihn stattdessen dabei unterstützt immer gefährlicher zu werden, beendet sie schließlich seine Behandlung abrupt. Demoralisiert, schuldbeladen und beinahe sprachlos vor Feindseligkeit setzt sie ihn vor die Tür, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Tonys Leben in rasender Geschwindigkeit auseinander fällt.

Dies hat massive Kritik von Therapeuten_innen  hervorgerufen, die eigentlich zu den größten Fans von “The Sopranos” gehören. Sie haben die TV-Serie für ihr genaues Portrait einer Beziehung zwischen Therapeutin und  Patient gelobt und die Arbeit von Dr. Melfi mit einem Award der American Psycho-Analytical Association ausgezeichnet. Aber in der vorletzten Episode der sechsten Staffel machten sie im Verhalten Kupferbergs und Melfis eklatante Regelverletzungen aus: zum einen sprechen Therapeut_innen über ihre Patient_innen immer anonym und zum zweiten erfordert die Beendigung einer Behandlung viel Zeit.

Nicht nur Therapeut_innen waren erschüttert. Einige Patient_innen erschienen aufgebracht zu ihren Behandlungsterminen, erzählt ein New Yorker Psychoanalytiker, der die Folge verpasst hatte, aber durch seine Patient_innen auf den aktuellen Stand gebracht wurde. Infolgedessen wurde viel über die Motivation des Schöpfers der TV-Serie, David Chase gemutmaßt, die Beziehung von Dr. Melfi und Tony auf diese Weise zu beenden. Chase selbst war mehrere Jahre in Therapie und hat öffentlich seine Ambivalenzen über die Sinnhaftigkeit geäußert. Anders hingegen Lorraine Bracco, die die Rolle von Dr. Jennifer Melfi spielt. Sie befand sich aufgrund von Depressionen in therapeutischer Behandlung, als sie 1999 von David Chase für eine Rolle in “The Soparanos” angesprochen wurde. In ihrer Autobiographie “On the couch” hat sie sehr offen ihre positiven Erfahrungen mit Psychotherapie diskutiert.

Lorraine Bracco wurde 1954 geboren, wuchs in einer norwegischen Nachbarschaft in Bay Ridge, Brooklyn auf. Ihr italienisch-amerikanischer Vater arbeitete als Fischverkäufer auf dem Manhattans Fulton Fish Market und ihre aus England stammende Mutter war Krankenschwester. Bracco wuchs eher untypisch für New Yorker italiensch-amerikanische Verhältnisse auf, erst recht nachdem die Familie in ein jüdisches Viertel in Hicksville, Long Island umzog. Eine Erfahrung, die Bracco übrigens in die Waagschale warf, als sie Martin Scorsese überzeugte, sie für die Rolle der jüdischen Long Island Ehefrau Karen Hill in “Goodfellas” zu besetzen.

Mit 19 Jahren zog Bracco nach Paris und wurde ein bevorzugtes Modell des Designers Jean Paul Gaultier. Sie arbeitete als DJ für Radio Luxemburg und für die beliebte Varieté-Fernsehshow “Les Enfants Du Rock”. Melfi spielte kleine Rollen in französischen Komödien, bevor sie 1984 in die USA zurückkehrte und Schauspielausbildungen mit Schwerpunkt Drama absolvierte. Ihr Debut im amerikanischen Fernsehen hatte sie im NBC-Drama “Crime Story”. Kurz darauf kehrte sie nach Frankreich zurück, um mit der italienischen Regisseurin Lina Wertmüller den Mafia-Thriller “Camorra” zu drehen.

Der Durchbruch im amerikanischen Fernsehen gelang ihr in der Rolle der Mafiaboss-Ehefrau Karen Hill in “Goodfellas”. Einen Erfolg, den sie als Dr. Jennifer Melfi in “The Sopranos” noch einmal übertraf. Sie hatte sich ursprünglich um die Rolle der Ehefrau Carmela Soprano bemüht, gewann dann aber schnell Interesse an der Rolle der Psychiaterin, weil sie diese als größere Herausforderung empfand. Sie mochte die Rolle außerdem, weil eine gut ausgebildete italienisch-amerikanische Frau bisher im us-amerikanischen Fernsehen nicht zu sehen war.

Lorraine Bracco bot Hollywoods Konventionen die Stirn, indem sie den größten Erfolg ihrer Karriere in einem Alter von Mitte 40 verzeichnete, ein Alter, in dem in der Regel Rollen komplexer weiblicher Charaktere knapp werden. Für ihre Darstellung der Dr. Jennifer Melfi erhielt sie mehrere Award Nominierungen, inklusive dreier aufeinander folgender Nominierungen für “Outstanding Lead Actress in a Drama Series” während der Emmy Awards sowie den Golden Globe Award für Best TV Actress in a drama.