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“Don’t Waste a Disaster – there’s Money To Be Made!”

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Zwischen Ende April und Anfang Juli 2011 hat HBO elf neue Folgen der TV-Serie “Treme” ausgestrahlt. Die zweite Staffel beginnt 14 Monate nach dem Hurrikan “Katrina”. New Orleans ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Die landesweite Aufmerksamkeit hat nachgelassen. Auf behördliche Hilfe ist nach wie vor nicht zu hoffen, Katastrophengewinnler sind auf der Suche nach leicht verdientem Geld. Eine entscheidende Veränderung im Vergleich zur 1. Staffel ist festzustellen: Gleich zu Beginn der ersten Episode sehen wir Sonny an der Bar in einem Strip-Club bei einem Drink, als zwei bewaffnete Männer den Laden betreten und wild um sich schießen, fünf Menschen verletzen, einen tödlich. Es ist eine Szene, die so in Avon Barksdales Orlandos in Baltimore spielen könnte. Ein Verweis David Simons auf ein zusätzliches Problem, welches die langsame Genesung der Stadt New Orleans gefährdete: Kriminalität und Gewaltverbrechen kehren zurück und zwar in einem Ausmaß, welches die Polizei in New Orleans völlig überfordert. Das New Orleans Police Department gerät demzufolge stärker in den Fokus und mit ihm David Morse in der Hauptrolle des Lieutenant Terry Colson. Terry Colson ist der Typ “good cop”, der versucht in einer gerade notdürftig stabilisierten Stadt die zunehmenden Gewalttätigkeiten und Morde bzw. deren Aufklärung in den Griff zu bekommen. Er konstatiert: die Stadt ist deprimiert, ängstlich, wütend. Alle sind völlig neben der Spur.

Ebenfalls neu bei Treme ist Jon Seda, der den Texaner Nelson Hidalgo spielt – einen smarten Bauunternehmer aus Dallas, der auf der Suche nach dem großen Geschäft nach New Orleans kommt. Demolition and Rebuildung. Abriss und Wiederaufbau – mit der Figur des Nelson Hidalgo nimmt die Serie einen weiteren Aspekt des von Korruption bestimmten Wiederaufbaus der Stadt in den Fokus: Mit Hilfe von politischen Verbindungen lässt sich mühelos Geld aus den Wiederaufbaumitteln der Regierung schlagen. Nelson Hidalgo lässt Grüße vom texanische Governor Perry ausrichten und zitiert Rahm Emanuels „never let a disaster go to waste – Verschwende niemals eine Katastrophe“. Mithilfe der Figur des Hidalgo entblättern David Simon und sein Co-Autor Eric Overmyer die Verflechtung von Politik, Regierungsaufträgen und der mit dem Wiederaufbau verbundene Gewinnmaximierung einzelner Profiteure.

Aber wie geht es den Protagonist_innen, mit denen wir die 1. Staffel durchlitten haben? Sofern sie noch in New Orleans sind? Die Gourmettköchin Janette Desautel z.B. ist vor ihrem kollabierenden Haus nach New York City geflüchtet. Auch der Jazzmusiker Delmond Lambreaux hat seinen Lebensmittelpunkt nach New York City verlegt und spielt dort in rooftop-Bars.

Wie kommen Toni Bernette und ihre Tochter Sofia zurecht, sieben Monate nach dem Selbstmord Creg Bernettes? Toni führt nach wie vor Prozesse gegen die Stadt. Sie vertritt u.a. die Angehörigen, der von Polizeieinheiten auf der Danzinger-Bridge erschossenen flüchtenden Zivilisten. Ein Fall der exemplarisch für das häufige Fehlverhalten der NOPD während der Katastrophe steht. Sie stellt außerdem Nachforschungen über den Tod eines jungen Mannes an, dessen Vater widersprüchliche polizeiliche Angaben erhalten hat. Die Beziehung zu ihrer Tochter ist von Sprachlosigkeit gekennzeichnet. Sofia ist in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und postet wütende Videos bei youtube über den Zustand der Stadt und ihrer Bewohner_innen.

Währenddessen schlägt sich der Posaunist Antoine Batiste mit den Problemen einer Bandgründung herum. Desiree – seine Lebensgefährtin und Mutter seiner kleinen Tochter – drängt ihn außerdem dazu einen “jobjob” an einer Schule anzunehmen, wo er schließlich tagsüber als Assistent eines Musiklehrers arbeiten wird. LaDonna Batiste-Williams weigert sich ihre Bar aufzugeben und New Orleans zu verlassen, auch nachdem ihre Mutter zu ihrem Mann und den Kindern nach Baton Rouge gezogen ist. “Gigis Place” läuft nicht, es fehlt an Gästen, so das LaDonna erwägt Life-Musik anzubieten – trotz ihrer Abneigung gegenüber Musikern – die auf ihre geschiedene Ehe mit Antoine Batiste zurückgeht.

Albert “Big Chief” Lambreaux wird vom zurückkehrenden Eigentümer aus der Bar hinausgeworfen, in der er nach Katrina untergekommen war – und die er nicht ganz unaufwendig wieder bewohnbar gemacht hatte. Albert zieht zurück in sein immer noch zerstörtes Haus. Weder kommt die Versicherung für die Schäden am Haus auf – noch ist staatliche Unterstützung in Sicht. Die selbst verlegte Wasserleitung ist Anlass für einen Streit mit einem städtischen Abnahmeprüfer.

Davis verliert seinen Job als Radio-Dj bei WWOZ, weil er zu viel Hip-Hop und Bounce-Music spielt. Nach seinem Rauswurf gründet er gemeinsam mit seiner vermögenden Tante Mimi ein Musiklabel. Für ihren ersten Sampler bringen sie die HipHop-Größen der Stadt zusammen. Annie spielt besser bezahlte Gigs mit etablierten Bands und versucht sich im Songschreiben.

Nelson Hidalgo landet bereits in der 2. Folge einen Abrissdeal mit einem Umfang von einer halben Million Dollar. Hier erinnert uns David Simon daran, dass nach “Katrina” staatliche Sozialsiedlungen der einkommensschwachen afro-amerikanischen Einwohner_innen und öffentliche Einrichtungen abgerissen wurden, obwohl sie nur geringfügige oder gar keine Flutschäden aufwiesen. In „Treme“ streiten Hidalgo und Robinette über das Mobiliar im 2. Stock einer zum Abriss vorgesehenen Schule, welches im Abbruchcontainer landet, obwohl das Wasser gar nicht bis in den 2. Stock gestanden hat.

Gegen den Abriss von Sozialsiedlungen und den neoliberalen Umbau New Orleans setzten sich zahlreiche selbstorganisierte Stadtteilgruppen zur Wehr. Abrissarbeiten wurden blockiert. Relativ bekannt wurde der Ende 2007 unternommene Versuch, sich in einer Stadtverordnetenversammlung Gehör zu verschaffen, der mit einem Polizeieinsatz unter Verwendung von Pfefferspray beendet wurde. Kürzlich hat der amtierenden Bürgermeister Mitch Andrieu eine Anti-Schandfleck-Kampagne initiiert, im Zuge derer nicht nur leer stehende Häuser abgerissen werden sollen. Den einzigen Schandfleck den die Anarachist_innen des Blogs NOLA Anarcha ausmachen konnten: ihre Antwort auf die Kampagne: Save the City! Demolish City Hall!

Für “Treme” braucht es Muse für die Geschichten, die sich sehr langsam entwickeln sowie den Willen zur politischen Auseinandersetzung. Daran scheint es einen gewissen Mangel zu geben: Die Einschaltquoten bleiben niedrig. Das muss uns nicht kümmern und zum Glück kümmert es HBO auch nicht! Eine dritte Staffel ist bestellt, dankeschön!