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Everybody loves Sheldon – The Big Bang Theory und der Spock-Asperger-Faktor

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“I hate my name. It has nerd in it. Leon-nerd.“ So die Selbstanklage Leonard Hofstadters, einer der Protagonisten in The Big Bang Theory, der überaus erfolgreichen Sitcom von Chuck Lorre und Bill Prady, die seit 2007 auf CBS ausgestrahlt wird, inzwischen in über 50 Ländern zu sehen ist und im Herbst in ihre fünfte Staffel geht. Der Plot ist entsprechend einer Sitcom einfach gestrickt und schnell erzählt: Im Mittelpunkt steht das Leben, Leiden und ab und zu auch Lieben von vier sogenannten „Nerds“ und einer Kellnerin / Schauspielerin: Hochbegabung und soziale Inkompetenz trifft auf normalen IQ und EQ. – Oder doch ein wenig ausführlicher…

Der bereits erwähnte Leonard Hofstadter, IQ 173, Doktorgrad mit 24 Jahren, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Teilchenphysik. Er lebt in einer WG mit Sheldon Cooper, IQ 187, erster Doktorgrad mit 16, Spezialist für String Theorie und nach Selbstauskunft sicherer Kandidat für den nächsten Nobelpreis. Zumeist zu Besuch bei ihnen sind der indische Astrophysiker Rajesh Koothrappali, Entdecker des Himmelskörpers 2008 NQ17, den er „Planet Bollywood“ tauft, und der jüdische Ingenieur Howard Wolowitz, der auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnik arbeitet und unter anderem für die ISS Raumfahrtklos entwirft. Sie alle arbeiten am California Insitute of Technology in Pasadena, und sie alle begeistern sich für Comics, Science Fiction, Fantasy und technische Gadgets. Ihr überaus geekhaftes Benehmen wird durch das alltagspraktische Verhalten der WG-Nachbarin kontrastiert, die häufig zu Gast ist – Penny aus Nebraska, Nachname unbekannt und selbsternannte Schauspielerin, die das Warten auf die große Hollywood-Karriere mit Kellnern überbrückt. Die permanent auftretenden Missverständnisse, die durch das Aufeinandertreffen der verschiedenen intellektuellen wie sozialen Register entstehen, machen den größten Teil der Komik aus.

Diese Figurenkonstellation wurde kontrovers diskutiert: Schmerzhafteste Klischeebedienung auf Kosten einer eh oft geschassten Gruppe, die als solche auch nur in Fremdzuschreibung existiere, sagen die einen (vom Stereotyp der hübschen Blondine von nebenan ganz zu schweigen). Trotz oder gerade durch ihre Überzogenheit durchaus gelungene und dabei äußerst sympathisch gezeichnete Darstellung einer durchaus existierenden Community, meinen die anderen. An Kritik kommt noch hinzu, dass aufgrund des Fokus auf die vier Freunde der Bechdel-Test mit wirklicher Sicherheit erst in Staffel 4 bestanden wird. Wissenschaftlerinnen mit mehr oder weniger stark ausgeprägtem Nerd-Verhalten gibt es zwar, jedoch reden sie so gut wie nie miteinander und erst recht nicht mit Penny, sondern eben zumeist mit einem der vier Jungs.

Trotz aller Kritik macht das Schauen der Serie auf mehreren Ebenen Laune: Sheldon als wandelndes und dabei oft nervendes Lexikon, der seine Umgebung oft und gern zu Geschichte und Gegenwart der Naturwissenschaft und Technik, aber auch zu allen anderen Bereichen der Weltgeschichte belehrt, ergibt ein gutes Training für die Allgemeinbildung, das auch dem monatlichen Kneipenquiz zugute kommt. Aufgrund der wissenschaftlichen Exaktheit der diskutierten und gezeigten Theoreme und Experimente erfreut sich die Serie im Übrigen einer recht hoher Beliebtheit unter Wissenschaftler_innen. So soll der US-amerikanische Astrophysiker und Nobelpreisträger George Smoot, der ein großer Fan von The Big Bang Theory ist, seinen Gastauftritt in Staffel 2 auf eigene Initiative hin erhalten haben.

Ein zweites großes Pro ergeben die zahlreichen Referenzen zur Science Fiction, von Diskussionen um Filme und Fernsehserien über Fankleidung und Kostümen bis hin zur Benutzung zahlreicher Gadgets, darunter mit besonderem Faible für das auch von previously favorisierte  Battlestar Galactica. So besitzt Leonard eine Viper-Fliegeruniform der Originalserie, die er jedoch nicht zu Halloween trägt – schließlich ist es eine Original Uniform und kein Kostüm – und Sheldon macht mit einem Cylon Toaster echten Cylon Toast. Ab Staffel 3 geben diverse Science Fiction-Stars, darunter Summer Glau aus Firefly, Katee Sackhoff aus Battlestar Galactica, Will Wheaton, George Takei und LeVar Burton aus Star Trek sich persönlich die Ehre eines Cameo-Auftritts.

Ein letztes großes Plus: Selbst die Kritiker von The Big Bang Theory geben meistens zu, zumindest eine Figur zu mögen: Die des Sheldon Cooper, der mit Abstand eigenwilligste und schrulligste Charakter der Serie. Er ist hochintelligent und mit einem eidetischem Gedächtnis ausgestattet, das ihn nahezu allwissend erscheinen lässt – abzüglich popkultureller Phänomene, die nichts mit Fantasy oder Science Fiction zu tun haben – dabei oft belehrend und anmaßend, pedantisch und penibel. Routinefreak, extrem vernunftbetont, dabei alles wortwörtlich nehmend und also ohne Sinn für Humor oder Ironie. Eine zentrale Entwicklungslinie, die seinem Charakter im Laufe der Serie gegeben wird, ist ein gewisses Gespür für Sarkasmus – auch wenn er sich dieses rein logisch erarbeitet, indem er sich immer wieder Einsatz- und Funktionsweise dieses rhetorischen Stilmittels vergegenwärtigen muss. Zudem kann er nicht lügen – nicht unbedingt weil er wahrheitsliebend ist oder gar seine Umgebung schonen will, sonder weil Lügen offenbar nicht rationalen Kriterien folgt. Sheldon denkt und fühlt also in rein logisch-abstrakten Kategorien. Damit nimmt er unter seinen Freunden oft die Position eines Beobachters, ja nahezu Sozialforschers ein, der die menschliche Spezies im Allgemeinen und seine Umgebung im Besonderen analysiert, kategorisiert und kommentiert. Hierbei wendet er nicht nur naturwissenschaftliche Kriterien an – so erschließt er sich das ihm ansonsten völlig unverständliche Sexual- und Liebesleben seiner Freunde vorzugsweise durch evolutions- und soziobiologische Thesen – sondern geht auch streng sozialwissenschaftlich vor.

Alles in allem könnte man seine Verfahrensweise als ethnomethodologisch bezeichnen. Der Umgang mit Sheldon erinnert ein wenig an ein auf Dauer gestelltes Krisenexperiment, ein in der Soziologie angewandtes Verfahren zur Sichtbarmachung impliziter sozialer Normen. Ihre Sichtbarmachung funktioniert darüber, dass sie in übertriebener Weise eingehalten oder grob missachtet werden – was zur Krise führt – so beispielsweise einfach schon beim Nicht-Grüßen oder auch übertrieben-devoten Grüßen von Vorgesetzten. Bei Sheldon kommt noch hinzu, dass er diese sozialen Normen und Konventionen beständig kommentiert. Indessen ist er am leichtesten von der Richtigkeit eines Handelns zu überzeugen, wenn man ihm einfach sagt, dass dieses nun einmal den sozialen Konventionen entspricht.

In ungemein unterhaltsamer Weise werden damit auch sozial- und geisteswissenschaftliche Paradigmen vorgeführt und erläutert. Dank Sheldons Herangehensweise enthält The Big Bang Theory beispielsweise ein wunderbar anschauliches Beispiel für Theorie und Anwendung der Semiotik. Sheldon ist zunächst nicht in der Lage, den über der Zimmertür seines Mitbewohners hängenden Schlips zu deuten, und holt dafür Nachbarin Penny zu Hilfe…

Um in seiner Umgebung zurechtzukommen, verfährt Sheldon wie sein großes Vorbild Mr. Spock aus Star Trek: Enterprise. Sein Lieblingskommentar zu dem ihm unverständlichen, da äußerst unlogischen Sozialverhalten seiner Umgebung lautet denn auch oft: „Faszinating.“ Auch beim Rate-Spiel „Wer bin ich?“ wählt er immer wieder diese Figur. Und schließlich tickt er völlig aus, als Penny ihm zu Weihnachten eine Serviette schenkt, die von Spock-Darsteller Leonard Nimoy benutzt wurde…

In Fan-Foren werden lebhafte Diskussion darüber geführt, ob Sheldon Asperger hat. In der Serie selbst wird dazu keine Aussage getroffen, und Produzent Chuck Lorre hat diesbezüglich sogar dementiert. Trotzdem ist es gerade Sheldons Bewunderung für Mr. Spock, die in diese Richtung denken lässt: Im englischen bezeichnen viele Menschen mit Asperger ihr Anderssein als „Wrong Planet Syndrome“ und drücken damit ihr Gefühl aus, irrtümlich auf einem fremden Planeten gestrandet zu sein, dessen Bewohner und Regeln sie nicht verstehen. Und gerade die Figur des Vulkaniers Spock, mit der Überbetonung der logisch-rationalen Seite des Menschseins, kommt offenbar Asperger verdächtig nahe. Auf einem Asperger-Forum findet sich dazu folgender Eintrag: „Mein Leben lang kam ich mir wie Spock, der Vulkanier aus Enterprise, vor. Anders und nicht von dieser Welt. Wenn ich so einen Vulkanier im TV sehe, denke ich oft, das ist einer meiner Art…“

Paul Collins, der sich ausführlich mit diesem Subtext von The Big Bang Theory beschäftigt hat, sieht in der Figur des Sheldon Cooper prinzipiell eine Chance: „Jetzt, wo The Big Bang Theory überall, von Island bis zu den Philippinen, läuft, wird Sheldon zu einem Popkultur-Symbol für Aspies werden. Dies ist möglicherweise keine schlechte Sache. So sehr er andere auch zur Verzweiflung bringen kann, hat Sheldon sich doch bemerkenswert gut an seine Welt angepasst. Unterhalb des Slapstick ist The Big Bang Theory eine Meditation darüber, wie intelligente Menschen mit den ihnen gegebenen, absurd ungleich verteilten Talenten umgehen. Für eine Komödie ist dies eine inspirierende – sogar edle – Ausgangsposition.“