Italienische Immigration, italienisch-amerikanische Identität und Christopher Kolumbus in “The Sopranos”
[audio:http://previously.us/wp-content/uploads/2011/10/Sopranos-Immigration-Identitaet-und-Christopher-Kolumbus-.mp3|titles=Sopranos – Immigration, Identitaet und Christopher Kolumbus]Reading the Sopranos, Investigating the Sopranos, The Psychology of the Sopranos, The Sopranos and Philosophy: I Kill Therefore I Am, The Sopranos on the Couch – Analyzing Television’s Greatest Series, A Sitdown with the Sopranos: Watching Italian American Culture on TV’s Most Talked-About Series … keine us-amerikanische Fernsehserie ist so intensiv diskutiert wurden wie HBOs The Sopranos. Wir haben die umfangreiche Literatur gesichtet und werden bei previously in loser Fortsetzung die interessantesten Analysen vorstellen. Heute Teil 2: italienische Immigration, italienisch-amerikanische Identität und Christopher Kolumbus.
Christopher Kocela analysiert in “Mourning the lost white father” die dritte Folge der vierten Staffel: “Christopher”. Im Mittelpunkt steht die italienisch-amerikanische Identität im Kontext der jährlichen Columbus Day Parade in Newark. Italo-Amerikaner_innen feiern am Columbus Day den in Genua geborenen Christoph Kolumbus und die Entdeckung Amerikas durch ihn. Berechtigterweise werden sie dafür durch Native Americans mit Verweis auf die tausendfache Ermordung von Taino Indians nach Kolumbus Ankunft in der Karibik kritisiert. Zu Beginn der Folge “Christopher” sitzt die Soprano-Crew vor Satriales Pork Store. Bobby Baccalieri liest aus einem Zeitungsartikel über die geplanten Aktivitäten des New Jersey Council of Indian Affairs gegen die Columbus Day Parade vor. Der Hinweis von Council Chairman Del Redclay auf Kolumbus Rolle im Genozid der indigenen Einwohner Amerikas wird von Silvio Dante als anti-italienische Diskriminierung empört zurückgewiesen.
Die TV-Serie “The Sopranos” ist von italo-amerikanischen Organisationen verschiedentlich kritisiert worden. Gutes Drehbuch hin, hohe schauspielerische Leistungen her – die Serie verfestige das Klischee von Italienern als ungebildete, schmierige, goldkettchentragende, palavernde Ganoven. Die One Voice Coalition, ein nationales Netzwerk von Italo-Amerikaner_innen gegen Beleidigung, Diskriminierung und Verbreitung von Stereotypen verleiht regelmäßig den “Pasta-Tute”-Award an Italo-Amerikaner_innen, die sich den Ausverkauf ihres italienischen Erbes vorwerfen lassen müssen und dem Image der Italo-Amerikaner_innen geschadet haben. Pastatute – eine Bezeichnung übrigens für italienische Frauen, die für sexuelle Dienstleistungen in Pasta bezahlt wurden. David Chase – der Schöpfer der Sopranos hat den “Pasta-Tute”- Award dreimal in Folge erhalten. Im Jahr 2010 wurde er gar zum “lifetime winner” ernannt. David Chase hat seine Show verteidigt und darauf hingewiesen dass es ihm nicht um eine stereotype Darstellung von Italo-Amerikaner_innen ging, sondern um das Portrait einer kleinen kriminellen Subkultur.
Eine Umfrage durch das Fairleigh Dickinson University’s PublicMind ergab bereits im August 2001, dass 65% der US-Amerikaner_innen nicht der Auffassung waren, die Serie stelle Italo-Amerikaner_innen negativ dar. Dennoch standen auch die italo-amerikanischen Schauspieler_innen, die die Figuren der Mafia-Familie gespielt haben in der Kritik von Anti-Diskriminierungsorganisationen. Im Oktober 2002 – d.h. zwei Wochen nachdem die Folge “Christopher” ausgestrahlt worden war – wurden gar zwei der Darsteller – Lorraine Bracco – die Therapeutin Tony Sopranos and Dominic Chianese – der Onkel Tonys von der Teilnahme an der Columbus Day Parade in New York City ausgeschlossen. Bürgermeister Bloomberg, der die beiden eingeladen hatte, blieb daraufhin der Parade ebenfalls fern.
Selbst wenn die Darstellung der Italo-Amerikaner_innen in TV-Serien wie den Sopranos unvorteilhaft erscheint, so ist doch davon auszugehen, dass damit keine erheblichen sozialen Auswirkungen auf die italienisch-amerikanische Community einhergehen. Und sie sind mit Sicherheit nicht zu vergleichen mit den Auswirkungen stereotyper Darstellungen von Afroamerikaner_innen, wie Tim Wise in seinem Artikel “Pride and Prejudice: Tony Soprano, Christopher Columbus and the Irony of Ethnic Stereotypes” betont. Immer wieder entgegen Vertreter europäischer Ethnien wenn die Rede auf Rassismus gegen Afroamerikaner_innen kommt Geschichten eigener Opferschaft. So auch in der Folge “Christopher”: In einer Fernsehdiskussion zur Columbus Day Parade geraten der afroamerikanische Moderator und der Sprecher für die italienisch-amerikanische Perspektive in Streit über die Gleichsetzung von Unrecht gegenüber Italo- und Afro-Amerikaner_innen. Für die Beschreibung der Schifffahrt seiner sizilianischen Großeltern nach Amerika verwendet Phil Donatti den Begriff der Middle Passage, was den Ärger des Moderators hervorruft. Denn die Middle Passage bezeichnet nun mal nicht den Weg, den zahlreiche nach Amerika ausgewanderte Italiener_innen im 19. Jahrhundert genommen haben, sondern den Sklavenhandel. Die Middle Passage war die mittlere Etappe des ein Dreieck formenden Handels zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt.
Auf der Heimfahrt von Redclays Casino geraten Silvio und Tony in Streit. Silvio Dante besteht darauf, dass italienische Immigrant_innen unter Diskriminierung gelitten haben und erinnert an seine Eltern, die für ihre Herkunft aus Kalabrien angespuckt worden sind. Tony hingegen beschwört Gary Cooper: sein Idealbild des aufrechten, integren, heldenhaften US-Amerikaners. Woraufhin Silvio ihn hinweist, dass es gerade die “Coopers” waren, die die Neuankömmlinge aus Italien oder Polen und die Afro-Amerikaner_innen “wie Scheiße” behandelt haben.
“Italiens are Niggaz with short memories” … diese Bemerkung machte Chuck Nice, ein afroamerikanischer Radio-DJ bei WAXQ-FM im Juni 2002. The Order of The Sons of Italy in America legte Beschwerde bei der Radio-Station ein. Er zeigte sich verwundert darüber, dass es für eine weiße Person falsch ist das Wort zu benutzen, aber ok. für einen Afroamerikaner um Weiße zu beschreiben. Mit dieser Geschichte beginnt Jennifer Guglielmo ihr Buch “Are Italiens White? How Race is made in America“. Sie zeigt wie wenig unter Italo-Amerikaner_innen das Bewusstsein existiert, dass sie in Amerika nicht schon immer als Weiße gesehen wurden. Am Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich die US-amerikanische Gesellschaft fast ausschließlich aus weißen Personen westeuropäischer Herkunft zusammen, den WASP: Weiße, aus dem angelsächsischen Raum stammende Protestanten. Jüdische Immigranten aus Russland, Einwanderer aus Irland, Polen und eben Italien haben nach ihrer Ankunft in Amerika unter massiven Vorurteilen und Diskriminierungen gelitten. Erst im Laufe der Zeit wurden sie Teil des weißen Amerikas – mit Hilfe der entstehenden Gewerkschaftsbewegungen, der New-Deal-Reformen und im Zuge des “white flight” – der Flucht der Mittelschicht aus den verarmten Vierteln der Großstädte in sichere Vororte. Zunächst aber lebten sie Tür an Tür mit Afroamerikaner_innen und verrichteten die gleiche Arbeit. Sizilianische Immigrant_innen teilten mit Afroamerikaner_innen den gleichen sozioökomischen Status als Lohnarbeiter_innen in der Landwirtschaft, z.B. auf den Zuckerrohrplantagen oder Erdbeerfeldern Louisanas. Der Umstand des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens provozierte wiederum bei den weißen Eliten Vorbehalte gegenüber den italienischen Immigrant_innen.
Da viele Italiener_innen länger als andere europäische Immigrant_innen arm und der Arbeiterklasse zugehörig blieben, haben sie oft in Arbeiter-vierteln zusammen mit Afroamerikaner_innen gelebt. Diese Nachbarschaft hat offenbar unter den Italiener_innen ein besonders starkes Bedürfnis ausgelöst, auf ihrer weißen Identität zu bestehen, um sich von ihren schwarzen Nachbarn abzugrenzen und in den Genuss aller Vorteile zu gelangen, die mit dem Weißsein verbunden sind. Das Abwenden von den einstigen Nachbarn kann dabei auch extrem bizarre Formen annehmen. So berichtet Time Wise in seinem Beitrag von irisch-italienischen Paraden in und um New Orleans, zu deren Teilnahme die Organisator_innen in den 1990er Jahren immer wieder David Duke einluden. Duke war führendes Mitglied des Ku-Klux-Klan, vertritt die Ideologie der White Supremacy – Weiße Überlegenheit, trat mit antisemitischen Äußerungen und als Unterstützer des Holocaustleugners Ernst Zündel öffentlich hervor. Er hat immer wieder behauptet, die Sizilianer_innen wären im Vergleich mit den Norditaliener_innen biologisch minderwertig. Und dennoch: So lange er versprach mit den Afroamerikaner_innen andere Saiten aufzuziehen, war ihm der Applaus stets sicher.
Inzwischen hat die italienische Community ihren Aufstieg in die amerikanische weiße Mittelschicht geschafft und das solidarische Zusammenleben und -arbeiten mit Afroamerikaner_innen hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Für die rassistische Bezeichnung von Afroamerikaner_innen hat die italienisch-amerikanische Sprache sogar einen eigenen Ausdruck: “Ditsoon” – was soviel heisst wie “verbrannt”. Die deutsche Synchronisation übersetzt das Wort mit “Schwarzfuß”. Als Tony Soprano seine Tochter Meadow Soprano zusammen mit ihrem jüdisch-afroamerikanischen College-Freund Noah Tannenbaum bei sich zu Hause antrifft, beschimpft Tony ihn ohne Umschweife als Ditsoon, als Holzkohlenbrikett, als Bimbo und untersagt ihm den Umgang mit seiner Tochter.