Genderfragen on The Wire
[audio:http://previously.us/wp-content/uploads/2010/07/The-Wire-Darstellung-von-weiblichen-und-homosexuellen-Figuren.mp3|titles=The Wire – Darstellung von weiblichen und homosexuellen Figuren]In der letzten previously-Sendung haben wir Euch die TV-Serie „The Wire“ vorgestellt. Die viel gelobte sozialkritische Drama-Serie über den Zustand der postindustriellen Gesellschaft in amerikanischen Großstädten des 21. Jahrhunderts wird von Fans und Kritiker_innen gleichermaßen als die beste Serie in der Geschichte des Fernsehens bezeichnet. Im Grunde haben wir uns in unserem Beitrag diesem Lob angeschlossen. Um so schwieriger war die Auseinandersetzung mit der Tatsache dass es „The Wire“ als eine der progressivsten TV-Serien an Sensibilität für feministische und gender-politische Aspekte mangelt. Wir haben sie dennoch nicht gescheut. Hilfreich hierbei waren vor allem Texte und Diskussionsbeiträge US-amerikanischer Blogs, so zum Beispiel die Einschätzung von Sophie Jones auf popmatters.com.
Geschlechterverhältnisse sind nur eine Fußnote in der anspruchsvollen Darstellung urbaner spätkapitalistischer Realität in Baltimore, Maryland. Mehr als 30 Charaktere begleiten die Zuschauer_innen durch fünf Staffeln. Aber nur sehr wenige dieser Charaktere sind Frauen – ein Blick auf die HBO-Website – Cast&Crew zeigt wie wenige es sind. Es gibt pro Handlungsrahmen eine weibliche Hauptfigur: Kima Greggs als Polizeikommisarin bei den Cops, Rhonda Pearlmen als Staatsanwaltsassistentin am Gericht, Brianna Barksdale – die Schwester von Avon Barksdale und Mutter D’Angelo Barksdales – das Drogenbuisness der Barksdale-Familie zusammenhaltend – sowie Snoop auf der Straße als kaltblütige Soldatin des Drogenkings Marlo Stanfield.
The Wire als neorealistische Serie ist den gegenwärtigen Verhältnissen verpflichtet und – so mag man zur Verteidigung der Serie einwenden – entsprechend gering muss der Anteil an Frauen ausfallen, so lange sie in den Bezugssystemen von Strafvollzug, Drogenhandel, Politik und Gewerkschaften spielt, von denen man weiß, dass sie nach wie vor fest in Männerhand sind. Und dennoch: drängt sich der Eindruck auf, dass die Frauenfiguren strategisch platziert wurden, um die Handlungen männlicher Hauptfiguren zu betonen, zu kontrastieren oder zu entwickeln. Es sind so wenige Frauencharaktere, dass Frauen in der Serie niemals dazu kommen miteinander zu sprechen – es ist Männertalk der die Handlung voranbringt. Es ist das Leben der Jungen und der Männer welches auf dem Spiel steht, die Gefahren denen sie ausgesetzt sind werden verhandelt – und ihnen gehört dementsprechend auch die ganze Empathie der Zuschauenden.
Eine der extrem seltenen Momente in denen zwei Frauen zusammen zu sehen sind, ist das Gespräch zwischen Detective Kima Greggs, ihrem Kollegen Lester Freamon und Shardene Innes, einer Tänzerin in Barksdales Club Orlando. Shardene soll der Polizei bei den Ermittlungen gegen die Barksdale-Drogenorganisation helfen, nachdem sie erfahren hat, dass ihre Kollegin Keisha auf einer der Barksdale-Parties an einer Überdosis gestorben ist und in einen Teppich gerollt in einem Müllcontainer entsorgt wurde. Eine gute Gelegenheit Genderaspekten die gleiche umfängliche Aufmerksamkeit zukommen lassen wie anderen Themen, die The Wire aber nicht ergreift. Stattdessen müssen wir erleben dass Shardene nach Abschluss der Ermittlungen aus der Serie verschwindet, ebenso wie Beadie Russel die sich in Staffel 2 von der Hafenpolizistin zur cleveren Ermittlerin gegen den Containerdiebstahl entwickelt hatte. Beide Frauen tauchen in den darauf folgenden Staffeln noch einmal kurz auf – den beiden Detectives Lester Freamon und Jimmy McNulty als Partnerinnen an die Seite gestellt.
Insbesondere bei Beadie Russel hat man nachträglich den Eindruck, dass diese Figur nur eingeführt worden ist, um McNulty dabei zu helfen, seinen unsteten Lebenswandel und Alkoholismus zu bezwingen und nicht weil die Serie eine Polizeikommissarin mit Kenntnissen über den Hafen braucht. Anscheinend fehlt den beiden Drehbuchautoren David Simon und Ed Burns die Fantasie, wenn es darum geht Frauenfiguren von einer Staffel in die nächste mitzunehmen und ihnen eine eigene Geschichte oder einen eigenen Handlungsbogen zu schreiben. Bei männlichen Hauptfiguren gelingt ihnen das mühelos: sowohl Roland Pryzbylewski als auch Bunny Colvin, die beide aus dem Polizeidienst ausscheiden, sehen wir später im Schuldienst wieder.
Dies bringt uns zu Staffel vier: Die 4. Staffel von The Wire widmet sich vier Kindern an einer gemischten Highschool, deren Zukunft auf der Kippe steht. The Wire fokussiert schonungslos auf den Umstand wie das Zusammenspiel von Familien, Schule, Sozialsystem, Rechtssystem und Polizei diese Kinder chancenlos zurück lässt. Die Geschichten von Michael, Dukie, Namond und Randy werden sensibel und aufschlussreiche erzählt, ohne sie auf ihre Rolle im Leben von Erwachsenen zu reduzieren. Aber warum sind es alles Jungs? In den Augen von The Wire sind es die Jungs die draußen an der Ecke stehen und mit Drogen dealen, sich gegenseitig umbringen und im Knast landen… Die Jungs sind in Gefahr … und nur sie. Warum? Besteht nicht die Gefahr für die Mädchen Ehefrauen und Mütter zu werden, abhängig von Drogengeld ebenso wie das Risiko für die Jungs Ehemänner und Väter zu werden, die eben jenes Drogengeld verdienen?
Ein weiteres Problem stellt die Darstellung der schwarzen Frauen der Unterschicht bzw. im Drogenbuisness dar. Sie sind entweder alkohol- oder drogenabhängig und vernachlässigen ihre Kinder oder geldgierig und zwingen ihre Kinder in den Drogenhandel. Die Geschichten der Mütter von Wallace, Michael und Namond werden nicht erzählt, wir erfahren nichts über die Umstände die zu ihrer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit geführt haben oder weshalb sie mit Drogendealern verheiratet sind. Die Handlungen der Männer in den jeweiligen Kontexten zu interpretieren obliegt uns. Die Mehrdeutigkeiten mit der sie repräsentiert werden – und die mit viel Applaus für Authentizität belohnt wurden – kommen nicht zur Anwendung bei der Darstellung der schwarzen Mütter, Frauen ohne das soziale und kulturelle Kapital jener Männer schreibt Elizabeth Ault in ihrem Paper “You Can Help Yourself, But Don’t Take Too Much”: African-American Motherhood on The Wire. für den Kongreß „Heart of the City: Black Urban Life on The Wire“.
Die Subjektivitäten und Sehnsüchte der schwarzen Mütter der Unterschicht sind nicht Gegenstand der Erzählung. Ihre unterkomplexe Darstellung produziert starke Zweifel an ihrer Tauglichkeit als Mütter. Sie werden vereinfacht als böse und schlecht dargestellt und nicht als Produkt des Systems wie es für die Männer geschieht, deren unmoralisches Agieren sich immer mit den Umständen erklären lässt. Diese geringe Aufmerksamkeit gegenüber den schwarzen Müttern schlägt sich nieder in Diskussionen und Abstimmungen, in denen die sie oft als „meist -gehasst“ oder „unmoralisch“ gelistet werden.
Völlig gegenteilig fallen hingegen die Einschätzungen zur Darstellung homosexueller Figuren aus. Viel Beifall erhält The Wire z.B. von Hillary Robbie, die in einem Artikel auf darkmatter.org das Dekonstruktionspotenzial der Serie untersucht. Entsprechend ihrer Analyse stellt The Wire dabei nicht nur populäre Annahmen über Homosexualität in Frage, die Serie unterläuft auch die Erwartungen des heterosexuell nomierten Zuschauers bzw. der Zuschauerin und demontiert außerdem spezifische rassistische Stereotype von Homosexualität. Diese Beobachtungen lassen sich an den beiden queeren Hauptfiguren festmachen: Kima Greggs – die lesbische Polizeikommissarin und der schwule Omar Little – der die größten Drogendealer der Stadt ausraubt, Kokain und Heroin an die Bedürftigen verteilt im Austausch für absolutes Stillschweigen über seinen Aufenthaltsort.
Die Beziehung zwischen Kima Greggs und ihrer Partnerin Cheryl wird so normal wie andere heterosexuelle Partnerschaften behandelt. Wie bei anderen Paaren auch hat diese Partnerschaft ihre Höhen und Tiefen, sei es hinsichtlich der Gefahren, die mit Kimas Job verbunden sind oder der bei beiden verschieden stark ausgeprägte Wunsch ein Kind zu haben. Es ist faszinierend festzustellen, dass man nach einer Weile schlicht vergessen hat, dass es sich bei Kima und Cheryl um ein schwarzes lesbisches Paar handelt, weil sie so normal sind.
Auch Omars Homosexualität ist eine Nebensächlichkeit seiner Existenz. Zwar sprechen seine Gegner mit homophoben Beleidigungen über ihn, aber letztendlich sind es seine Skrupellosigkeit und sein Erfolg, die ihn definieren. Omar hat durch die fünf Staffeln hindurch nacheinander feste Liebesbeziehungen zu drei verschiedenen Männer. Mit eben jenen stabilen Beziehungen dekonstruiert die Figur des Omar gängige Bilder des Schwarzen als übersexualisiert und die des schwulen Mannes als häufig Partner wechselnd. Omar stellt außerdem einen seltenen Charakter im TV dar, der Maskulinität und Homosexualität in Einklang bringt. Die Figur ist bahnbrechend hinsichtlich der Idee, dass schwarze Männer schwul sein können und maskulin sowie maskulin und nicht übersexualisiert. Patricia Hill Collins weist in ihrem Buch „Black Sexual Politics – African Americans, gender and the new racism“ außerdem darauf hin, dass Omar nicht nur nicht dem Stereotyp der „Sissy“ entspricht, sondern auch die weit verbreitete Vorstellung von schwulen Männern als weiß und wohlhabend unterläuft, da es sich bei seinen Partnerschaften um homosexuelle Beziehungen zwischen zwei schwarzen working-class-Männern handelt.
Während es also The Wire an starken weiblichen Figuren fehlt um traditionelle heterosexuelle Geschlechterrollen in Frage stellen zu können – hat sie große Arbeit geleistet bei der normalen Darstellung homosexueller Beziehungen. Stehen nicht aber die außergewöhnlichen Leistungen von The Wire mit dem mangelnden Ehrgeiz hinsichtlich der Darstellung komplexer weiblicher Charaktere in Frage? Hierauf antwortet L.S. Kim, Hochschulassistentin für Film und digitale Medien an der Santa Cruz University, California: Es ist schwierig mit allen Belangen umzugehen – Ethnie, Klasse, Geschlecht, Sexualität. Da die Show die meisten dieser Fragestellungen unglaublich gut und mit erstaunlicher Qualität verhandelt, sticht das Scheitern an den weiblichen Charakteren besonders hervor. In einem der Blogs in denen feministische Kritikpunkte an The Wire diskutiert werden, schließt ein Kommentar mit der Einschätzung: Ich denke es ist diese Nachlässigkeit gegenüber den Frauenfiguren, die aus David Simon einen „bad good guy“ macht.