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Auf das Leben, auf die Freundschaft! Boston Legal

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Wenige Themen bestimmen die Sujets der meisten TV-Serien. Klassiker sind Familie, Polizei und Anwaltsserien. Boston Legal ist eine der Letztgenannten.

Als Spin Off der hochgelobten Serie “The Practice” – ebenfalls einer Anwaltsserie – entstanden, zeigt “Boston Legal” mit teilweise gleichem Schauspielerensemble in der gleichen Stadt – Boston, logisch – die Fälle der erfolgreichen Anwaltspraxis Crane, Poole und Schmidt.

Zwischen 2004 und 2008 wurden 5 Staffeln gedreht, die offiziell dem Genre Dramedy, also Drama und Comedy zugeordnet werden. Auch wenn die meisten Merkmale für Qualitäts-TV-Serien eher für Serien im Dramenbereich treffend sind, finden sich diese auch hier: komplexe Charaktere in Entwicklung, längere Erzähllinien, sowie schwierigere Identifikationsmöglichkeiten mit den Protagonist_innen.

Im Mittelpunkt der Serie stehen die Anwälte Alan Shore und Denny “my name on the door” Crane. Symphatisch erscheinen beide nur äußerst bedingt. Ihr Zugang zur Welt ist häufig sexistisch; und während Alan Shore mit sagenhafter Eloquenz oft für seine Mandanten aussichtslos scheinende Fälle gewinnen kann, verkörpert William Shatner den einst super erfolgreichen, superreichen und politisch rechts und republikanisch stehenden Anwalt Denny Crane, der alle seine Ausfälle mit mad cow, also Rinderwahnsinn, erklärt.

Und Ausfälle Denny Cranes gibt es – zumindest für Menschen mit feministischem und aufgeklärtem Weltzugang – zuhauf: überzeugtes Mitglied der NRA, der National Rifle Association, schießt Denny Crane gern und häufig. Mit scharfer Munition mal in die Decke, aber auch mit Paintballs auf Menschen. Stets ausgezeichnet und teuer gekleidet, ist seine politische Haltung eine vorbehaltlos reaktionär patriotische. Kriege der USA bereiten ihm keine schlaflosen Nächte, wie es eine Errektionsstörung täte. Seine (imaginierte) sexuelle Leistungsfähigkeit trägt er vorbehaltlos jeder Frau an, der er begegnet, eine typische Begrüßung wird stets durch einen Griff an den Arsch seines weiblichen Gegenübers begleitet.

Denny Cranes Darsteller William Shatner wurde seine Rolle des Captain Kirk von der Raumschiff Enterprise weltberühmt. Auch dieser Charakter war ein professioneller Chauvinist.

Warum also Boston Legal als Empfehlung unserer Redaktion?

Während Captain Kirk glorifizierter Anführer und erotischer Held nach dem Vorbild John F. Kennedys war, pflegt er nun in Boston Legal zwar ein ähnliches Selbstbild, dass auf seinen früheren Erfolgen im Beruf und bei Frauen beruht, und er erinnert auch alle anderen permanent daran – “Denny Crane, never defeated. My name on the door.”

Aber dieses Bild wird nicht mehr unhinterfragt von den anderen übernommen. Denny Crane ist alt geworden und gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis, die oft auch tragische Züge annimmt. Der einzig ihm offen stehende Weg, sich Frauen zu nähern, ist der sexueller Anmache, die auf der Betonung seiner Macht und imaginierten Unwiderstehlichkeit beruht. Doch die 1960er Jahre sind unwiderbringlich vorbei, der Schauplatz der Serie eben eine Anwaltskanzlei, und so wissen sich die Belästigten zu wehren: meist mit Spott, selten auch mit einer Ohrfeige. Anstatt sich belästigt zu fühlen, reagieren die Frauen angemessen, nämlich aus überlegener Perspektive, schnell und zynisch seine plumpen Annäherungsversuche.

Captain Kirks Freundschaft, emotionale Nähe und homosoziales Verhältnis mit Spock in “Raumschiff Enterprise” führten frühzeitig zu Spekulationen und den ersten Publikationen queerer Lesarten von popkulturellen Phänomen sowie der weiteren Bearbeitung in Fan Fiction. Den Platz Spocks nimmt nun Alan Shore ein. Der begabte Anwalt, überzeugter Demokrat und Enfant Terrible der Kanzlei, der sich oft Anweisungen widersetzt und mit langen Plädoyers die Juries überzeugen kann, ist Denny Cranes bester Freund.

Und diese Freundschaft wird zelebriert. Jeden Abend – und so auch am Ende jeder Folge – trinken die beiden gemeinsam auf dem Balkon der Kanzlei und rauchen Zigarren. James Spader, Darsteller von Alan Shore, zeigt im Gerichtssaal Empörung und Zynismus, Denny Crane gegenüber jedoch eine Fürsorglichkeit und emotionale Nähe, die in ihrer Zartheit das Herz berührt.

Politisch bildet Alan Shore ein starkes Gegengewicht zu Denny Crane. Er übernimmt häufig aussichtslos erscheinende Fälle und stellt sich auf die Seite Benachteiligter. Im Laufe der Serie wird er gegen die USA Homeland Security klagen, gegen die Tabak- und gegen die Pharmaindustrie. Gleich Denny Crane versteht er sich als Patriot, der jedoch gegen die – besonders während der Drehzeit bestehenden Präsidentschaft von George W. Bush – aufkommenden erosiven Tendenzen der Demokratie, der schwindenden Kritikfähigkeit an der Verfasstheit des Landes und die Todesstrafe ankämpft.

Beide argumentieren also aus verschiedenen politischen Lagern mit gleichzeitigem patriotischen Verständnis – ein hierzulande vollkommen undenkbares Setting. Dies geht soweit, dass beide – nachdem sie erfolgreich die Homeland Security verklagten, weil sich diese im Auslandseinsatz befand und Flutopfern nicht helfen konnte – nach dem Vorwurf des Richters, sie würden ihr Land nicht lieben, sich freiwillig verpflichten wollen. Ihr Ansinnen wird im Rekrutierungsbüro mit dem Hinweis auf ihr Alter abgewiesen. Beide können jedoch kurz darauf stolz die Uniform der Coast Guard tragen, weil diese keine Altersbegrenzung haben.

Während Denny Crane 7x verheiratet war, wenn teilweise auch sehr kurz, sieht Alan diese institutionelle Beziehungsform zum Scheitern verdammt. Und trotz dieser diametralen Weltzugänge lieben sich beide und stellen ihre politische Haltung nie über ihre Freundschaft und stehen damit für Hannah Arendts Diktum, wonach “Liebe am politischen Verhandlungstisch ein großes Verhängnis ist.”

Ihre enge Liebesbeziehung – die beide auch noch außen demonstrieren, sei es mit Worten, sei es mit dem Tragen von pinkfarbenen Flamingokostümen auf Faschingsparties – gibt Alan und Denny Halt. Die größte äußere Bedrohung ihrer Freundschaft ist die beginnende Alzheimer Erkrankung Dennys, die er lange als “mad cow” herunterspielt, und die oft für die lustigsten Momente der Serie sorgt, aber auch tiefe Tragik enthält. Die Angst vorm Alter, der Verlust einst unhinterfragter und sicher geglaubter Möglichkeiten ist eines der zentralen Themen von Boston Legal, die nicht nur durch Denny Cranes Entwicklung verhandelt wird.

Nur einmal gerät ihre Freundschaft ernsthaft in Gefahr: Alan vertritt vor Gericht eine Gemeinde, die sich aufgrund der negativen innenpolitischen Entwicklungen der USA abspalten wollen. Denny, der den gegnerischen Anwalt ersetzt, indem er auf dessen Befangenheit verweist – schließlich geht es dem Anwalt des Staates um ebendiesen – argumentiert hingegen, dass die USA noch nie zimperlich waren, wenn es um die eigenen Interessen geht: Masseninternierungen von Japanern während des 2. Weltkrieges oder die Infektionen Schwarzer mit Syphilis, um eine Kur zu entwickeln: all das gab es bereits in der Vergangenheit. Als “Founding Father” der Anwaltskanzlei Crane, Poole und Schmidt ist Denny von Alans Haltung tief verletzt und wirft ihm vor, ihre Freundschaft beruhe nur auf Scotch.

Getroffen stellt Alan im Gespräch mit Jerry Espenson, einem anderen Anwalt fest, dass er nie geglaubt hätte, Arbeit über Freundschaft zu stellen.

Folgerichtig heiraten die beiden im Serienfinale, nachdem sie das Recht dazu vor Gericht erstritten haben. Ein Verein für Schwule- und Lesbenrechte wollte dies mit dem Hinweis verhindern, dass beide nicht homosexuell wären und mit ihrer Hochzeit der radikalen Rechten in die Hände spielen würden. Alans führt in seiner Argumentation aus, dass Ehen sehr häufig aus finanziellen Motiven geschlossen würden und die hohe Scheidungsrate zeige, dass die romantische Liebe weniger als eine tiefe Freundschaft geeignet wäre, eine derartige Verbindung einzugehen. Weiter wird das traditionelle Bild der Institution Ehe demontiert, als die Richterin ausführt, dass Lesben auch Schwule heiraten würden, um Kinder bekommen zu können.

Doch diese Freundschaft zwischen Alan Shore und Denny Crane ist nur einer der Erzählstränge von Boston Legal, die die Serie einzigartig machen, doch unsere Sendezeit ist begrenzt: wenigstens erwähnen, in weiteren Sendungen auszuführen wären:

die großartige Besetzung von Boston Legal, pointierte Dialoge, die radikale Verhandlung von tagesaktuellen Geschehnissen und Entwicklungen der USA, die Vermittlung eines Verständnisses für den grundsätzlich zu unserem System verschiedenen Zugang zu Recht und Politik, die überwältigende Anzahl von alten Schauspielbekannten aus Science Fiction Serien und die umwerfende Komik.

Doch für heute: die Zelebrierung wahrer Freundschaft und die Absage an Institutionen, die ihre Versprechungen doch nie einhalten: wir heben das Glas.