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Girls: I Want to be A Voice of A Generation

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Als die Serie “Girls” im April dieses Jahres zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, löste es sofort große Kontroversen und Diskussionen aus. Während die Serie aufgrund des preisgekrönten ersten Filmes “Tiny Furniture” der Schreiberin, Regisseurin und gleichzeitigen Hauptdarstellerin Lena Dunham im Vorfeld Lorbeeren geerntet hatte und positive Reviews erhielt, begann vorwiegend im Internet eine kritische Rezeption über die whiteness, also die Abwesenheit von nicht-weißen Personen der immerhin im kosmopolitischen Brooklyn, NYC spielenden Serie, und die häufig empfundene Oberflächlichkeit der oft als spoiled, also verwöhnt, bezeichneten Charaktere, auf die wir später zurückkommen.

Im Mittelpunkt der Serie, die das Leben und Überleben in wirtschaftlich unstabilen Zeiten und unsicheren Beziehungen thematisiert, stehen die seit Collegetagen befreundeten Mittzwanzigerinnen Hannah und Marnie, die sich eine Wohnung teilen. Dazu gesellt sich Hannahs Freundin Jessa, die gerade nach New York zurückgekehrt ist und bei ihrer Cousine Shoshana einzieht. Dies sind die Girls.

Viele TV-Serien spielten und spielen in New York City. “Girls” möchte dabei nach Aussagen von Lena Dunham eine Lücke schließen. Und zwar zwischen dem damals überraschenden “Sex and the City” und – etwas weniger offensichtlich – zwischen “Gossip Girl”. Die Bezüge zu “Sex and the City sind” unübersehbar: 4 weibliche Hauptdarstellerinnen, der gleiche Sender – HBO -, die Episodenlänge von 30 Minuten. In Shoshanas Zimmer hängt ein Plakat zum 1. Film von SATC und die Serie wird direkt erwähnt. Die Bezüge zu “Gossip Girl”, einer äußerst erfolgreichen, wenngleich auch nicht gerade von Kritiker_innenlob überschütteten Serie sind nicht ganz so offensichtlich. Während “Gossip Girl” das Leben von Jugendlichen an der superreichen Upper East Side mit Skandalen, Verschwörungen und unwahrscheinlichen Ereignissen reißerisch behandelt, wird die Serie doch mehrmals direkt zitiert. Die Serie “Girls” ist im nicht ganz so reichen, jedoch ohne elterliche Unterstützung nicht erschwinglichen Brooklyn angesiedelt.

Gleich zu Beginn der 1. Folge eröffnen Hannahs Eltern, Collegeprofessoren aus Michigan, ihrer Tochter das sofortige Ende der finanziellen Unterstützung. Hannah verdient auch 2 Jahre nach ihrem Collegeabschluß kein eigenes Geld. Sie hat zwar einen Job, dabei handelt es sich aber um ein Internship, also ein unbezahltes Praktikum, in einem Verlag. Hannah träumt davon, eine Schriftstellerin werden und protestiert gegen die Einstellung des finanziellen Supports, jedoch ohne Erfolg. Ihre Argumentation? Sie schreibt an ihren Memoiren, die sie natürlich erst noch erleben muss, und ist damit beschäftigt, zu werden wer sie wirklich ist. Und ihre Eltern können doch wirklich glücklich sein, immerhin ist sie nicht drogenabhängig.

Hannahs beste Freundin Marnie ist die einzige der 4 Freundinnen, die tatsächlich einen “erwachsenen” Job in einer Galerie hat. Jessa jobbt als Babysitterin, während Shoshana, die noch studiert, wie viele andere Charaktere auch, von ihren Eltern unterstützt wird.
Hannah ist selbstzentriert, egoistisch und nicht wirklich in der Lage, mit verschiedenen unschönen Realitäten ihres Lebens umzugehen. So ignoriert sie die beständigen Fragen von Marnie nach ihrem Anteil an der Miete und klagt wie schwer es ist, einen guten Job zu bekommen, möchte aber auch nicht kellnern gehen. Sie hat ihr unbezahltes Praktikum verloren, als sie nach Bezahlung gefragt hatte.

Die Reaktionen ihres Umfeldes sind ebenfalls seltsam. Während Marnie dafür plädiert, dass sich Hannah einen Job sucht, folgt Hannah Jessas Rat, ihren Eltern nochmal klar zu machen, dass sie eine Künstlerin sei, der Unterstützung ohne zeitliche Begrenzung einfach zusteht. Adam, zu Beginn der Serie als äußerst befremdlicher gelegentlicher Sexpartner von Hannah eingeführt, kommentiert lapidar: “Du solltest niemandes Sklave sein, nur meiner.” Er nimmt keine Unterstützung seiner Eltern in Anspruch, aber – voilá – seine Großmutter hilft ihm.
Anschließend haben sie Sex, bei dem Adam Hannah als “modern career woman” beschimpft. Es wird nicht die einzige Szene dieser Art bleiben. In späteren Folgen möchte er sie als Prostituierte, als junges Mädchen von der Straße sehen.


Später wird immer deutlicher, wie ich-bezogen Hannah tatsächlich ist – sie hat sich tatsächlich nie richtig für Adam interessiert und erfährt z.B. eher zufällig, dass er bei den AA, also den Anonymen Alkoholikern ist. Erst in der 7. der 10 Folgen der 1. Staffel sehen wir Adam außerhalb seines Appartments, und – Überraschung -, er trägt tatsächlich ein Hemd, nachdem wir lange vermuten mussten, dass seine Garderobe aus einer Jeans und einigen Unterhosen besteht.

Gegenmodell dieser seltsamen Beziehung, wie sie Leute in der Selbstfindungsphase in Brooklyn wohl gelegentlich führen, sind Marnie und ihr Freund Charlie, die seit dem College zusammen sind. Dabei ist Marnie zunehmend genervt von ihrem liebevollen Freund, der sie tatsächlich fragt, was sie möchte, und ihr jeden Wunsch von den Augen abliest. Als später Charlie und sein Freund Ray, der als wohltuender Gruß aus der Realität verstanden kann, in Hannahs Tagebuch lesen, dass sie der Meinung ist, dass sich Marnie endlich von Charlie trennen soll, kommt es zum großen Zerwürfnis. Charlie verlässt Marnie und wir müssen überrascht sehen, dass auch Marnie nicht so gut ist, wie wir lange glauben wollten – sie weiß noch nicht einmal, wo Charlie wohnt. In 4 Jahren war sie nicht einmal bei ihm zu Besuch, sondern hat erwartet, dass er kommt, wenn sie ruft.

Dies sind nur einige der befremdlichen Ereignisse, und trotzdem übt die Serie “Girls”, wenn man sich durchgerungen hat, die erste Folge zu schauen, eine seltsame Faszination aus. Zum einen geht die Serie wohltuend realistisch mit Körperbildern um. Zwar entsprechen Marnie und Jessa dem aktuellen Schönheitsideal weißer Frauen, aber Hannah, die sehr oft nackt oder halbnackt gezeigt wird, hat ganz offensichtlich keinen Körper, wie er in Magazinen nach entsprechender Photoshopbehandlung zu sehen ist. Ihre Unsicherheit im Bezug auf ihren Körper gesteht sie ein, wenn sie als Grund für ihre vielen Tätowierungen gegenüber Adam erklärt, dass diese ihr in ihrer Jugend ein Gefühl von Kontrolle über ihren zunehmenden Körper ermöglichten. Gleichzeitig wird Sex entmystifiziert. Während es in der zu Beginn erwähnten Serie “Gossip Girl” nur supertollen, fantastischen Sex gibt, zeigt “Girls” eine größere und realistische Bandbreite. Shoshana ist mit 22 Jahren noch Jungfrau, Marnie ist gelangweilt, wird jedoch auf einer Toilette mastubierend gezeigt, nachdem sie eine Begegnung auf einer Party erregt hat, Marnie und Jessa knutschen, und Hannah erfüllt die Bedürfnisse Adams, weil sie ihre eigenen nicht ausdrücken kann oder noch nicht kennt. Selbst die Körper von Hannahs Eltern werden nackt gezeigt. Auch mit den Folgen – ungewollten Schwangerschaften oder einer HPV Infektion setzt sich die Serie auseinander. “Girls” ist äußerst dicht, detailreich und komplex inszeniert und unsere Reaktionen schwanken zwischen “uh, wirklich?” und dem Lachen über Absurditäten.

Viele der gezeigten Szenen beruhen auf Ereignissen aus Lena Dunhams Leben, so zum Beispiel das plötzliche Einstellen der finanziellen Unterstützung durch ihre Eltern oder dass ihr Collegefreund, mit dem sie 2 Jahre zusammen war, sich anschließend als schwul outete.

Der Mut, mit dem die erst 25jährige Lena Dunham schreibt, Regie führt und spielt ist atemberaubend. Anders als die Protagonistinnen von “Sex and the City” ist sie ja nicht der Mittelpunkt eines glamourösen Lebens, in dem Ungemach nur von außen droht, sondern eine verletzliche und verletzte junge Frau, die dermaßen viele schlechte Entscheidungen trifft und Ereignisse falsch bewertet, dass es einem schwindelt. Die Serie ist exzellent ausgestattet. Allein die Beschreibung von Charlies Wohnung, die dieser selbst gebaut hat, wären eine Rezension wert. Keine der Protagonist_innen ist blass, und es ist wirklich überzeugend, wie komplex die Charaktere über den Verlauf der 1. Staffel entwickelt und dargestellt werden.

Zu den Vorwürfen, die Serie wäre nur “weiß”, weil in der 1. Folge tatsächlich nur eine Asiatin mit dem Verweis, sie wäre besonders gut in Photoshop und ein Schwarzer, der ausgerechnet als Obdachloser auftrat, vorkamen, entschuldigte sich Lena Dunham und verwies auf die zur Zeit abgefilmte 2. Staffel. Gleichzeitig sind Freundes- und Gesellschaftskreise tatsächlich ja oft geschlossen und spiegeln ebenfalls Lena Dunhams gesellschaftlichen Hintergrund, deren Vater ein WASP ist, (also weiß, alteingesessen, evangelisch von der Ostküste der USA stammend) und deren Mutter, eine Malerin, einen jüdischen Background besitzt. “Girls” ist also eher ein realistisches Abbild unserer Gesellschaft, die als anders Empfundene nicht oder selten zeigt und über Ausschlüsse funktioniert. Gleichzeitig sind die Protagonist_innen selten wirklich symphatisch oder gar glamourös, ihre Welt wird also nicht als erstrebenswert oder zur Identifikation – wenn es über allgemeine Aussagen hinausgeht – einlädt. Weißsein ist hier also kein Merkmal, dass automatisch positiv aufgeladen ist.

Lena Dunham ist mit der Serie “Girls” Hannahs Anspruch gerecht geworden. Während in der Bezugsserie “Gossip Girl” ein aufstrebender Schriftsteller als “die Stimme seiner Generation” bezeichnet wird, bleibt sie in der Dramedy “Girls” realistischer: sie ist eine Stimme einer Generation.