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Breaking Bad – der konservative Mythos vom amerikanischen Self-Made Man

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“Inflation ausgleichen, gutes staatliches College, Inflation ausgleichen, sagen wir jährlich 45.000 Dollar, 2 Kinder, 4 Jahre macht 360.000 Dollar. Bleibt noch die Hypothek auf das Haus: 107.000 Dollar, Hausdarlehen 30.000. Das wären 137.000. Lebenshaltungskosten, Verpflegung, Kleidung, Nebenkosten – sagen wir 2 Riesen im Monat, das sollte die Kosten auf jeden Fall decken. 240.000 im Jahr. Ausgedehnt auf, sagen wir 10 Jahre, das macht 240.000 plus 360.000 plus 137.000. 737. 737.000 Dollar. Das ist alles was ich brauche.”

Dies sind die Worte von Walter White, Chemielehrer an einer Highschool in Alberquerque, New Mexiko der gerade seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert hat, als bei ihm ein inoperables Lungenkarzinom festgestellt wird. Walter White lebt zusammen mit seiner Frau Skyler und ihrem gemeinsamen 15-jährigen an Kinderlähmung erkranktem Sohn Walter Junior. Walter White gehörte einst zu einer Forschergruppe, die für den Nobelpreis nominiert war. Sein Einkommen für seine Lehrtätigkeit an einer mittelmäßigen Highschool reicht nicht aus um die teuren Behandlungen für Walter Junior zu finanzieren. Walter hat daher  einen Zweitjob in einer Autowaschanlage.

Walters Krankenversicherung kommt nicht für seine Behandlungskosten auf. Ohne relevante Ersparnisse und im Wissen, dass die Chemotherapie mit extrem hohen Kosten verbunden sein würde, weigert Walter sich zunächst, sich einer Behandlung zu unterziehen. Seine größte Sorge ist vielmehr die Zukunft und finanzielle Absicherung seiner schwangeren Frau und des kranken Sohnes. “Breaking Bad” – “auf die schiefe Bahn geraten”, “aus Konventionen ausbrechen”, “sich über Gesetze und Regeln hinwegzusetzen”: In der ihm noch verbleibenden Zeit – so beschließt Walter – wird er Crystal Meth herstellen. Denn mit dem Verkauf tödlicher Chemie – das verraten ihm die Lokalnachrichten und sein Schwager Hank, der bei der amerikanischen Drogenbehörde als Cop arbeitet, kann man schnell viel Geld verdienen.

Walter ergreift also das Angebot Hanks, ihn einmal beim Ausheben eines Meth Labors begleiten zu dürfen. Während Walter auf dem Rücksitz des Polizeiwagens auf die Rückkehr Hanks und seines Kollegen wartet, beobachtet er wie ein ehemaliger Schüler von ihm, Jesse Pinkman, den Tatort durch die Hintertür verlässt. Walter spürt Jesse auf.

Walter führt von nun an eine Doppelexistenz: einerseits als sterbender Familienvater, der sich – dem Druck seiner Familien nachgebend – doch einer Chemotherapie unterzieht. Andererseits als Drogenkoch, der das beste Meth in Albuquerque produziert und sich bald in Distributionskreisen als “Heisenberg” vorstellt.

Albuquerque, kurz ABQ,ist die größte Stadt des Bundesstaates New Mexiko, der zwischen Arizona und Texas liegt und an Mexiko angrenzt. Die Stadt befindet sich auf einer Hochebene von etwa 1.500 Meter über dem Meeresspiegel. Sie wird im Osten durch die Sandia Mountains und im Westen durch den Rio Grande begrenzt. Das Klima in Albuquerque ist ausgesprochen niederschlagsarm, der türkisfarbene Himmel zeigt sich an nahezu allen Tagen im Jahr wolkenfrei. Die Stadt wird von Wüste umgeben, in die schmale staubige Pisten führen. In dieses menschenleere, lebensfeindliche Outback Albuquerques fahren Walter und Jesse um Crystal Meth zu kochen. In einem alten Wohnmobil, das Walter von seinen wenigen Ersparnissen gekauft hat, haben sie ein Labor eingerichtet. Das notwendige Equipment, Erlenmeyerkolben, Rundkolben, Meßkolben etc. hat Walter aus dem Schullabor entwendet. Über seine Gründe in die Meth-Produktion einzusteigen hat Walter Jesse im Unklaren gelassen.

Die Idee eines als Meth-Küche fungierenden Wohnmobils in der Wüste New Mexikos entstand während eines Telefonates zwischen dem Schöpfer der Serie – Vince Gilligan und einem Freund, die sich, beide Drehbuchautoren, über mangelnde Jobs beklagten und scherzhaft verschiedene Alternativen erwogen: Begrüßungspersonal bei Wal-Mart werden oder eine Meth-Küche in einem Wohnmobil unterbringen und durch den Südwesten fahren. Aus der Idee wurde ein Drehbuch mit dem Gilligan zu AMC ging.

Ein Meth-Labor in einem Wohnmobil ist nichts außergewöhnliches. Die ländlichen Gebiete der westlichen USA sind voll von Meth-Küchen, in Einfamilienhäusern, in Trailern, in Hotelzimmern. Weil sich Crystal Meth relativ einfach herstellen lässt, wird es überall gekocht. Meth ist billig – es ist die Droge der weißen amerikanischen Unterschicht, der Landbevölkerung. In den USA spricht man seit Jahren von einer regelrechten Meth-Epidemie. Mehr als 12 Millionen Amerikaner_innen haben Erfahrungen mit Meth gemacht, 1.5 Millionen sind regelmäßige Konsumenten. 8% der Menschen in New Mexiko im Alter von 12 Jahren oder älter gaben an, Meth ein- oder mehrmals konsumiert zu haben.

Methamphetamin löst euphorische Gefühle aus, verleiht Selbstvertrauen, erhöht die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, dämpft das Angstgefühl, unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Schmerz. Es macht sehr schnell abhängig. Wegen des Schlafentzugs neigen User zu Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Paranoia. Die Droge verändert das Gehirn. Die Fähigkeit, ohne Meth Glück zu empfinden, geht verloren. Andere Nebenwirkungen sind: Blutdruckerhöhung durch starke Belastung des Herzmuskels, ständige Unruhe, Kreislaufstörungen, Depressionen, starker Gewichtsverlust, Hautentzündungen, Zahnausfall und Organschäden.

Für die Herstellung werden im Handel frei erhältliche Husten- und Erkältungsmittel mit dem Inhaltsstoff Ephedrin verwendet. Die US-Regierung erließ 2006 daher den so genannten Combat Methamphetamine Epidemic Act, der eine Obergrenze für den Verkauf von Erkältungmedikamenten festlegt: alle 30 Tage neun Gramm des Inhaltsstoffs Ephedrin oder Pseudoephedrin pro Person. Die Apotheken – auch die bei Wal-Mart – müssen Namenslisten der Käufer führen, die von der Polizei ausgewertet werden. Meth-Produzenten kaufen nun die erlaubte Ration an Erkältungsmitteln in verschiedenen Apotheken oder werden von so genannten Smurfs unterstützt. Das sind Meth-User, die Meth-Produzenten durch Einkäufe unterstützen – und so ihren Drogenkonsum finanzieren.

Obwohl der Konsum von Meth so weit verbreitet ist, gibt es in den USA nur wenige Rehabilitationseinrichtungen, die auf den langwierigen Entzug von Meth spezialisiert sind. Es gibt kein Medikament, das den Entzug unterstützen kann. Langzeittherapie ist die einzige Option. 96 % der Konsumenten_innen werden rückfällig.

Zu viele Details zur Wirkungsweise von Crystal Meth und seiner Verbreitung zu kennen, kann das Schauen von “Breaking Bad” erschweren. Die Story ist auch ohne das Wissen um das Elend, welches die Droge produziert,  deprimierend. Spannung wird mit den Cuts zwischen Alltag im durchschnittlichen Mittelschichts-Einfamilienhaus, der Meth-Produktion im Wohnmobil und den mit Bedrohungen und Gewalt verbundenen Schritten in die Drogendistribution erzeugt. Dabei mangelt es “Breaking Bad” nicht an Situationskomik und schwarzem Humor, der sich überwiegend aus dem fantastischen Team speist, welches Walter und Jesse bilden. Während Walter – dessen Gehirn sein Schwager Hank als “as big as Wisconsin” beschreibt –  sich immer wieder ausdauernd über Jesses chemische Unkenntnisse beklagt, macht sich dieser wiederum über Walter lustig, als der für die Drogenübergabe an Tuco Salamanca einen Autoschrottplatz auswählt.

“Breaking Bad” kann als gelungener Kommentar zur von der konservativen Rechten angefeindeten Gesundheitsreform Obamas gesehen werden. Sie entlarvt die – bis zur Reform – weit verbreitete Praxis der Versicherungen, Policen bei ernsten Erkrankungen zu kündigen oder hohe Zuzahlungen bei Behandlungen zu verlangen. Sie zeigt, dass eine Krebs-Diagnose mit einem finanziellem Ruin verbunden sein kann. “Breaking Bad” porträtiert die in soziale Not geratene amerikanische Mittelschicht. Das Geschäft mit der Sucht wird als eine Farce der Verwirklichung des amerikanischen Traumes erzählt. Die Transformation Walters vom langweiligen Familienvater zum toughen Drogenboss befeuert den konservativen Mythos des amerikanischen Self-Made Man. Vom Traum zum Albtraum – an dieser Art von Selbstermächtigung sollte auch die konservative Rechte keinen Gefallen finden können. Der neue Walter White verkörpert den antiquierten einsamen Cowboy, unabhängig von staatlicher Hilfe oder der Unterstützung anderer. Anstatt sich wegen finanzieller Hilfe an Wohltätigkeitsorganisationen zu wenden oder das Angebot eines wohlhabenden Freundes anzunehmen, der die Kosten für die Chemotherapie übernehmen will, gewinnt sein männlicher Stolz die Überhand. Und wir erleben ein nach wie vor sehr vitales Rollenbild des männlichen Familienernährers, dem sich Walter White verpflichtet fühlt.

Seine Entscheidung ins Drogenbuisness einzusteigen ist bestimmt von ökonomischen Zwängen, aber auch von Walters eingeschränkter Sichtweise. Das Geld kommt seiner Familie zugute, ganz gleich ob die Drogen jemand anderen oder dessen Familie zerstören könnten. Einen Ausweg aus der Verzweiflung seiner Familie finden – diese Verantwortung nimmt Walter in einsamer Entscheidung allein auf sich. Er begreift sich als einzigen möglichen Hoffnungsträger. Die von seinem Sohn erstellte Homepage SaveWalterWhite.Com, auf der zu Spenden für Walters Operation aufgerufen wird, lernt er daher erst zu akzeptieren, als sie sich als die einzige Möglichkeit erweist, das Drogengeld auf das Familienkonto zu transferieren ohne Verdacht zu erregen.

Der neue Walter White ist ein Neandertaler mit Bankkonto, bringt es Jesse Hicks in ihrem Review auf popmatters.com auf den Punkt. Heldenhaft beschützt er seine Familie, bereit sie um jeden Preis zu verteidigen und entwickelt sich dabei für sie zu einem Unbekannten.

Im Jahrespoll von Spex – dem Magazin für Popkultur landet “Breaking Bad” auf Platz 2 hinter “Mad Men“. Beide TV-Serien wurde von AMC – einem kleinen Cable-Network produziert. Für “Breaking Bad” hat AMC viel Kritikerlob erhalten, insbesondere für Drehbuch und Kameraführung. Die herausragende schauspielerische Performance von Bryan Cranston und Aaron Paul in den Rollen von Walter White und Jesse Pinkman wurden im letzten Jahr mit Emmyauszeichnungen gewürdigt. In den USA erfolgte die Ausstrahlung von bisher drei Staffeln. Die vierte Staffel ist für Juli dieses Jahres angekündigt. In Deutschland waren die Staffeln 1 und 2 zwischen Oktober und Dezember 2010 bei ARTE zu sehen.